In Ulm ist eine Auseinandersetzung über Kunst entbrannt. Im Mittelpunkt steht eine 30 Zentimeter große Figur, die vor über 30.000 Jahren aus Elfenbein gefertigt und 1939 in einer Höhle auf der Schwäbischen Alb entdeckt wurde. Bei der rekonstruierten Skulptur handelt es sich um ein aufrecht stehendes Wesen mit den Armen, den Beinen, dem Leib eines Menschen und dem Kopf eines Löwen. Der Mensch mit seiner Tiernatur ist die älteste von Archäologen jemals entdeckte Skulptur, sie steht von der Öffentlichkeit wenig beachtet im Ulmer Museum.
Ein geschäftstüchtiger Kulturmanager hatte nun die Idee, 100 Glasfaserkopien des Löwenmenschen von 2,25 Metern Größe fertigen und von Künstlern bemalen zu lassen, sie auf Plätzen und in Straßen der Stadt auszustellen, danach zu versteigern und mit dem Gewinn das Ulmer Museum zu unterstützen. Ein Künstler, der selbst Skulpturen herstellt, meldete sich zu Wort, nannte die großen Brüder des Löwenmenschen „Monster“ und die ganze Aktion ein „Kitschspektakel“, Herstellung und Bemalung der Kopien muten ihn wie eine „gestalterische Vergewaltigung“ an und zeigten mangelnden Respekt vor dem unbekannten Schöpfer aus der Altsteinzeit. Dies erzürnte wiederum den Manager, der dem Kritiker die Beschimpfung „Kulturfundamentalist“ entgegenschleuderte und auf seine Absichten hinwies, dem Museum zu helfen.
Unglücklicherweise blieb es nicht beim Streit zwischen Manager und Künstler. Die Diskussion wurde von der Lokalpresse weitergetragen. In Kultureinrichtungen, Schulen und Familien, an Arbeitsplätzen, auf dem Wochenmarkt und vor dem Sonntagsgottesdienst diskutiert die Bürgerschaft nur noch das Thema : Darf der Löwenmensch in einer überdimensionalen, stark vereinfachten und bemalten Glasfaserkopie abgebildet werden? Welche Grundschulempfehlung das Kind erhält, ob der eigene Arbeitsplatz in ein Billiglohnland verlagert wird und die Demontage des Gesundheits- und Rentensystems weitergeht, ob ein Beschäftigter zwei oder drei Jobs braucht, um sich und seine Familie ernähren zu können – diese Fragen traten alle in den Hintergrund, und die Stadtgesellschaft spaltete sich angesichts einer Frage der Ästhetik in zwei Lager.
Aus Verantwortungsgefühl und tiefer Abneigung gegen unversöhnlichen Streit erlaubt sich unser Stammtisch ein paar Vorschläge zu unterbreiten, die geeignet erscheinen, die Gräben in der städtischen Gesellschaft zuzuschütten und die beiden Parteien im Ulmer Kunststreit wieder zu versöhnen.
Kunst, Kunstvermarktung und wohltätiger Zweck werden zu einer Einheit verschmolzen. Die Kontrahenten des Ulmer Kunststreits tun sich zu einem Team zusammen. Manager und Künstler führen gemeinsam mehrere Projekte durch.
Projekt1 „Gipsköpfe“: Von den Köpfen aller vierzig Räte im Ulmer Stadtparlament werden Gipskopien angefertigt und sodann von ausgewählten Künstlern bunt bemalt. Die Popularität der Damen und Herren wird zweifellos sicherstellen, dass der Verkauf oder die Versteigerung der Gipsköpfe zu einem einträglichen Geschäft wird.
Projekt2 „Bronzene Statue“: Der populärste Oberbürgermeister, den Ulm je hatte, wird in fünffacher Lebensgröße in Bronze gegossen. Wir denken dabei an eine Statue wie jene auf dem Kapitol in Rom, die Marc Aurel, einen der großen römischen Kaiser, als Herrscher und ersten Diener von Land und Volk zeigt. Diese Statue könnte von der Kunsthalle Weishaupt aufgekauft und im Foyer des gleichnamigen Museums aufgestellt werden.
Zum Abschluss erlauben wir uns noch eine weitere Anregung. Da der finanzielle Spielraum der Stadt durch mehrere Großprojekte (Theatersanierung, Bau einer Mulifunktionshalle) in den kommenden Jahren sehr eingeengt sein wird, sollten die Erträge der Kunstprojekte dem Ulmer Donaubüro zufließen, dessen Mietkosten durch einen Umzug von bisher 18.000 € im Jahr auf 48.000 € steigen werden. Vielleicht könnte das Donaubüro als Gegenleistung dann die Aufgabe übernehmen, für den Ankauf von Reproduktionen der Bronzenen Statue und der Gipsköpfe in den Partnerstädten entlang der Donau zu werben.
/ 17.3.08