Ayatollah Wetzig

 …und die Ulmer Revolutionsgarde

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Ulms Baubürgermeister will der geriatrischen Klinik Bethesda erlauben, das nordöstliche Donauufer mit einem siebenstöckigen Haus zu bebauen. Dagegen empören sich die Anwohner dieses Viertels und gründen eine Bürgerinitiative. Am Schwörmontag hängt die BI ganz in der Nähe des geplanten Klinikgebäudes ein Transparent auf und bringt verschiedene Hinweistafeln an. Auf einem Flugblatt ist Baubürgermeister Wetzig als „Mafioso der Woche“ zu sehen, der das Donauufer verhöckert. Darunter wird gereimt: Dies Hochhaus ist nicht fetzig. So woll’n wir‘s nicht, Herr Wetzig.

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Danach rückt die Ulmer Revolutionsgarde an und entfernt das Transparent und die Hinweisschilder. Die Pressestelle der Ulmer Stadtverwaltung weigert sich, eine Begründung für diese Maßnahme zu geben. Unsere Lokalzeitung ermittelt und kommt zu dem Ergebnis: Die Anordnung an die Ulmer Revolutionsgarde kam wahrscheinlich von Baubürgermeister Ayatollah Wetzig.

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Wir vom Donaufischstammtisch nutzen diese Gelegenheit, um unsere vollständige Unterstützung Wetzigs zum Ausdruck zu bringen. Unser Baubürgermeister ist über jeden Verdacht erhaben, demokratische Rechte einzuschränken oder auszuhebeln. Er hat in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass er eine porentiefreine weiße Demokratenweste trägt. Stets werden von ihm in langen (oft ermüdenden) Informationsgesprächen und Kampagnen die Bürger (die meist unkundig und traditionellen Wertmaßstäben verhaftet sind) darüber informiert, was die Verwaltung plant. Kann man in einer Kommune mehr Demokratie praktizieren?

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Unser ausdrücklicher Dank gilt auch der Revolutionsgarde, die von der Stadt Ulm nach dem Vorbild der iranischen Wächterarmee gebildet wurden und schon mehrmals in den vergangenen Jahren gehorsam und entschlossen ihre Pflicht tat. Wir haben großes Vertrauen in unsere Garde und hätte es auch gebilligt, wenn sie diese räudigen Hunde aus der Pionierstraße,die unsere Stadtdemokratie mit ihren anarchistischen Aktionen eliminieren wollen, niederkartätscht hätten.

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Baubürgermeister Wetzig ist ein vorbildlicher Demokrat und ein Amtsleiter, der mit Kritik umzugehen weiß. Wir sind uns sicher, dass sich auch unser Schwörbriefgelehrter, Ayatollah Gönner, in seiner Freitagspredigt vor dem hohen Ulmer Kastratenrat, hinter Wetzig stellen wird. Mit den Worten des Baubürgermeisters wollen wir unseren Bericht für heute beenden. Von uns auf die Aktion der Ulmer Garde am Schwörmontag angesprochen, antwortete Herr Wetzig:

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„Selbstverständlich sind wir für Demokratie, und selbstverständlich setzen wir uns für das Recht auf freie Meinungsäußerung ein. Keine Frage. Das ist uns eine wahre Herzensangelegenheit. Aber nachgerade unsere Liebe zur Demokratie gebietet es, dass wir für die Herrschaft der Vernunft kämpfen, für die Gültigkeit der ästhetischen Gesetze und für die Wahrung von Anstand und Sitte. Und genau dies hat die Revolutionsgarde in meinem Auftrage getan. Sie hat eine unvernünftige, unästhetische und unsittliche Propagandakampagne dieser subversiven Elemente aus der Oststadt unterbunden. Dafür sollte wir ihr dankbar sein.“

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Keine Satire: OB Gönner erstattet Anzeige

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Der sozialdemokratische Oberbürgremeister Ulms Ivo Gönner erstattete am 21.7.2009 Strafanzeige gegen die Bürgerinitiative wegen der „Mafiosokarikatur“. Seine Vorwürfe: Beleidigung und Verleumdung. Gönner fordert die Verantwortlichen auf, bis Freitag 24.7. eine Unterlassungserklärung vorzulegen.

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Dieser Oberbürgermeister trägt nach außen eine Fassade des umgänglichen und populären Biedermannes zur Schau; in ihm verborgen schlummert die Autokratenseele. Wir kennen viele Sozialdemokraten, die würden sich wegen einer solchen Anzeige schämen.

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Die Unterlassungs- und Beleidigungsklage Gönners (der sich auch Herr Wetzig als Privatmann anschloss) ist offensichtlich unbegründet und erfolgte nur aus dem einen Grund: Gönner möchte dem äußerst empfindlichen Wetzig den Rücken stärken und alle potenziellen Kritiker städtischer Pläne und Vorhaben einschüchtern.

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Das Verfahren wird durch die Justiz eingestellt werden noch ehe es richtig begonnen hat. Aber bis dahin und darüber hinaus wird es seine Wirkung tun: Jeder überlegt sich zweimal alles, bevor er etwas sagt und mit einer Klage überzogen wird.

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Wir können Herrn Gönner und Herr Wetzig nur raten: Ziehen Sie Ihre Klage schnell zurück, bevor Sie sich in der Stadt und überall in der Welt lächerlich machen. Denn Sie wissen ja: Auf die Metropole an der Donau richten sich viele wichtige Augenpaare aus Stuttgart, Berlin, Brüssel, Budapest usf. Und diese Augenpaare finden ein solches Vorgehen sicher nicht weltstadtgemäß, sondern schlichtweg provinziell.

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Herr Wetzig schätzt, wie wir den Medien entnehmen, die schon verstorbene Dichterin Hilde Domin sehr. Diese engagierte, mutige und sprachgewaltige Frau hätte für Ihre knabenhafte Überempfindlichkeit, Herr Baubürgermeister Wetzig, nur Kritik übrig gehabt.

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23.07.09

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