Naiver Schöngeist

Vor dem Eröffnungskonzert vom Musikfest Stuttgart am 30.8.2014 (Haydns „Schöpfung“) hielt Günther Oettinger eine Eröffnungsrede, die missglückte und das Publikum provozierte. (Wer erwartet von Herrn Oettinger anderes?) Dieser Vorfall ist heute Gegenstand der Berichterstattung der Stuttgarter Zeitung und der Südwest Presse.

Wir fragen uns: Muss ein kultivierter und wohlerzogener Mensch schweigen, wenn ein Politiker wie Günther Oettinger in einer Rede bei einem Musikfest Unsinn redet und provoziert?

Herr Jürgen Kanold, Kulturchef der Südwest Presse Ulm, hält schweigen für richtig. Ganz anders und differenzierter Susanne Benda von der Stuttgarter Zeitung.

Wir meinen: Naive Schöngeister richten durch„vornehme“ Zurückhaltung oft größeren Schaden an als Menschen, die rechtzeitig aufbegehren. Das lehrt uns die Geschichte an zahllosen Beispielen.

Stuttgarter Zeitung 1.9.2014

Noch bevor beim großen Eröffnungskonzert des Musikfests am Abend der erste Ton erklingt, erhebt sich im Beethovensaal lauter Protest. „Aufhören!“, hört man,und„Schluss jetzt!“. Günther Oettinger, vom unerwarteten Gegenwind des Publikums aus der Bahn geworfen, bringt seine Festrede zu einem raschen Ende, sitzt den ersten Teil des Konzertes ab und wird im zweiten von niemandem mehr gesehen.
Tatsächlich hat der EU-Energiekommissar dem Publikum am Samstagabend nicht etwa die angekündigten Gedanken zum Festivalmotto „Herkunft“ vorgetragen, sondern zum aktuellen politischen Geschehen Stellung bezogen.Manches von dem, was er etwa zum Ukraine-Konflikt sagt, ist richtig, aber wer hier Parallelen zum Hitler-Stalin-Pakt zieht, wer pauschal von „dem Polen“, „dem Russen“ und „dem Litauer“ spricht und wer in der Heimat von Mercedes verkündet, man müsse ja nicht immer nur daran denken, die S-Klasse nach Moskau zu exportieren, der darf sich nicht wundern,wenn anderen das nicht gefällt.
Autorin: Susanne Benda

Südwest Presse 1.9.2014

Günther Oettinger war eingeladen, zur Eröffnung des Musikfests Stuttgart seine „Gedanken“ über das Festival-Motto „Herkunft“ vorzutragen. Aber dann wurde der 60-Jährige am Samstagabend in der Liederhalle mit „Aufhören!“-Rufen und anhaltend lautem Klatschen regelrecht zum Schweigen gebracht. Peinlich. Ein Eklat. Aber warum nur?
Oettingers lokalpatriotischen Superlativ „Stuttgart ist die deutsche Musikstadt“ nahm das Publikum gerne an. Auch dessen Seitenhieb auf die Sparpläne der grün-roten Landesregierung, die bei den Musikhochschulen Studienplätze für Ausländer abbauen will: „Wer Autos baut, tut gut daran, auch Kultur zu exportieren.“

Doch dann holte Oettinger unpassend zum außenpolitisch-moralischen Rundumschlag aus: für mehr deutsches Engagement in den Krisenherden dieser Welt. Als er indirekt brandmarkte, die „S-Klasse nach Moskau zu exportieren“, ertönten „Aufhören!“-Rufe. Oettinger aber redete und redete, und ein Teil des Publikums machte seinem zunehmenden Unmut dadurch Luft, dass es den CDU-Politiker durch anhaltendes Applaudieren störte. Oettinger ging darauf nicht ein, kam aber zum Schluss, hörte sich den ersten Teil der „Schöpfung“ an und war nach der Pause weg. Er musste irgendwie die Veranstaltung verwechselt haben. Erschreckend aber auch, wie unhöflich bis intolerant viele Zuhörer reagierten.
Autor: Jürgen Kanold

Werbung

Besuch vom Mars

Viele dachten, es handle sich um eine öffentliche Probe. „Warten auf Godot“ an der Chirurgischen Universitätsklinik Ulm:

Eine Karosse fährt am Haupteingang vor. Dort sitzt – einem Sumo-Ringer gleich – ein stark übergewichtiger Mann in kurzen Hosen und Sandalen. Aus seinen Kleidungsstücken dringen Schläuche, neben ihm ein mobiler Infusionsständer behängt mit Flaschen und Beuteln. Dem vorgefahrenen Auto entsteigt ein dünner, gepflegter Herr.

Ohne Umschweife eilt er zum Dicken. Der hat seine riesigen Hände auf die nackten Oberschenkel gelegt, der Ankömmling setzt sich ungefragt neben ihn auf die Bank, legt jovial sein linkes Händchen auf den mächtigen Arm des Sumo-Ringers und fängt an, schnell und ohne Luft zu holen in breitem Schwäbisch wie eine verrostete Trompete auf den überrumpelten Riesen einzureden.

Nein, das war keine Probe des Theaterensembles unter dem Intendanten Andreas von Studnitz. Das war die Ankunft von EU-Kommissar Günther Oettinger am 29.9. 2012 an der neuen Chirurgische Universitätsklinik Ulm.

Weswegen kam der Energiekommissar überhaupt?

Wollte er sich operieren lassen? Überprüfen, ob in der Klinik überall Energiesparlampen verwendet werden? Wollte er den Ärzten erläutern, dass die geplante Energiewende, so wie sie von der Bundesregierung betrieben wird, keinen Erfolg haben könne und der Atomausstieg falsch sei? Oder wollte er genießen, dass ihn die Ulmer Anhänger mit Respekt und Ehrfurcht behandeln, während er in Berlin und Brüssel oft nur Spott zu spüren bekommt?

Eine Antwort auf diese drängende Frage, weiß ein Redakteur der Südwest Presse Ulm. Am 1.10. schreibt er in der Printausgabe der SWP:

Die einstündige Besichtigung „findet statt, nicht etwa, weil Oettinger zum Eröffnungsakt im Mai, dem am 15.Juni an einem einzigen Tag der unter Regie des Geschäftsführers des neuen Chirurgiezentrums, Prof. Florian Gebhard, generalstabsmäßig vorbereitete Umzug vom Safranberg folgte, vergessen worden wäre. Vielmehr sollten Kollisionen mit Oettingers Nachnachfolger, dem Grünen Winfried Kretschmann vermieden werden.“

(Obwohl der Artikel der Südwest Presse keinen Verfasser nennt, erkennt der geübte Leser dieser Zeitung, aus wessen Feder der Bericht stammt. In der Lokalredaktion ist nur ein Redakteur zu stilistisch so einzigartiger Syntax und Ausdrucksweise fähig)

Mit anderen Worten: Günther Oettinger war zur Eröffnung im Mai 2012 zwar eingeladen, wollte aber nicht kommen, weil bei diesem Termin Ministerpräsident Kretschmann anwesend war. Und so kam Kommissar Oettinger eben vier Monate später; der Hofstaat begleitete ihn auf seinem Rundgang durch die Chirurgie.

Die Landtagsabgeordnete, der Fraktionschef, die Parteivorsitzenden, der Vorstand des Klinikums, der kaufmännische Direktor, der Chef der Chirurgie – alle waren da, alle wurde in der Presse erwähnt und fast alle durften mit aufs Foto. Die zwei Medizinprofessoren erbaten EU-Gelder für die Forschung, zusagen wollte der Herr Oettinger indes nur, dass er sich in Brüssel (wie unser Stilist schreibt) als „Türöffner“ für die Ulmer Uniklinik in Brüssel betätigen werde.

Zur Strafe mussten die Herren und die eine Dame dann Oettingers abgestandenen Geschichten über Trinkgelage vor wichtigen Entscheidungen und lustige Vorkommnisse bei Fraktionssitzungen lauschen. Den Stilisten inspirierten Günthers Jugendschwänke. Er versah seinen Artikel über die Besichtigung mit dem Titel: „In Ulm wird der Mars besiedelt“ Untertitel: „Beobachtungen beim Besuch der neuen Chirurgie…“.

Wir vom Gasthaus DF hätte als Überschrift für Oettingers Show-Veranstaltung „Besuch vom Mars“ vorgeschlagen. Die Absurdität dieses Theaters wäre noch besser zum Ausdruck gekommen.

Wird Ihnen, verehrte Leser, nicht manchmal bange bei der Vorstellung, dass solche Menschen wie Günther Oettinger in Brüssel darüber mitentscheiden, was aus unserem Währungssystem wird und wie viele Billionen Euro zur Stützung maroder Staatshaushalte aufgebracht werden müssen?

2.10.2012

Günther kommt

Günther Oettinger

Er ist der begabteste und intelligenteste Politiker, den Baden-Württemberg in seiner sechzigjährigen Geschichte hervorgebracht hat. Er ist wortgewaltig und vielseitig und verfügt über erstaunliche Kenntnisse auf den verschiedensten Gebieten.

Unvergessen bleibt, wie er in seiner Grabrede 2007 den ehemaligen Marinerichter Hans Filbinger in wenigen Sätzen vom Vorwurf der Täterschaft während der Nazizeit reinwusch und überzeugend darlegte, dass der Verstorbene in Wahrheit ein mutiger Widerstandskämpfer im Dritten Reich gewesen ist.

Unvergessen seine in englischer Sprache gehaltenen Reden, wahre Perlen der Rhetorik, die auch heute noch unzählige Menschen in ihren Bann schlagen und bei YouTube täglich tausendfach aufgerufen werden.

Unvergessen auch Oettingers wissenschaftlicher Beitrag zur Geografie Frankreichs, der 2011 den Nachweis erbrachte, dass Frankreichs Westen entgegen weit verbreiteter Anschauungen menschenleer ist.

Leider blieb er mit seiner Schaffenskraft und seinen Talenten dem Land Baden-Württemberg nur wenige Jahre erhalten, vor er sich – auf Wunsch der Kanzlerin Angela Merkel – größeren Aufgaben in Brüssel zuwandte.

Doch auch das Amt des Energiekommissars der EU-Kommission lässt Günther Oettinger noch genug Zeit, um sich anderen Beschäftigungen zu widmen.

Jüngst glänzte er als Festredner anlässlich des 60. Geburtstages des Ulmer IHK-Präsidenten Dr. Peter Kulitz, einen Monat zuvor hatte Oettinger auf der Freisprechungsfeier von Klempnerlehrlingen in Ulm, der „Landeshauptstadt der Klempner“, seine philosophischen Betrachtungen zu lebenslangem Lernen in volksnahem und fesselndem Vortrag zu Gehör gebracht.

Als „bekennender Freund des Donaufestes und Förderer der Donaustrategie in Brüssel“ (SWP 15.2.2012) wird Günther Oettinger als Schirmherr am 6.7. zur Eröffnung des Donaufestes erneut in Ulm weilen. (Wie man hört, sieht Ulms Oberbürgermeister Gönner die häufigen Besuche des populären und beliebten EU-Kommissars Oettinger mit wachsendem Unmut, da er fürchtet, Oettinger könne bei der nächsten OB-Wahl in Ulm 2015 mit einer Gegenkandidatur seine vierte Wiederwahl vereiteln)

Nun also kommt Günther, wie ihn das Volk liebevoll nennt, am Donnerstag, den 21. Juni 2012 ins Stadthaus nach Ulm zu einem Abend, den die Südwestpresse veranstaltet. Unter Leitung der Redakteure Bettina Wieselmann und Wilhelm Hölkemeier wird Günther Oettinger aus seinen neuesten Publikationen vorlesen. Dabei handelt es sich um zwei Übersetzungen aus dem Deutschen ins Englische.

Das erste von Oettinger übersetzte Werk stammt aus der Feder von Annette Schavan und heißt „Person und Gewissen“; das zweite wurde von Dr. Peter Kulitz verfasst und trägt den Titel „Unternehmensspenden an politische Parteien“.

Die Freude auf diesen Abend unter den Ulmer ist grenzenlos. So viel Unterhaltung für so wenig Geld (die Karte kostet nur 3.-€), gibt es nur selten, selbst in Ulm, der kommenden Kulturhauptstadt Europas. Unser Dank gebührt der Südwest Presse Ulm, die uns dieses Vergnügen mit Günther Oettinger ermöglicht.

14.6.2012

Günther Oettinger – Spezialist für Kopfbahnhöfe

 

Günther H. Oettinger: „Sie sagen, alle(s) seien Kopfbahnhöfe. Stimmt doch gar nicht! Strasbourg – Durchgangsbahnhof. Karlsruhe – Durchgangsbahnhof. Es stimmt, Paris ist ein Kopfbahnhof. Gare de l’Est. Warum? Weil es westlich von Paris keine Menschen mehr gibt, sondern (nur) Kühe und Atlantik. – Stuttgart, aber Stuttgart ist/liegt? mittendrin. Das heißt, in Paris stellt das Thema sich gar nicht, und in Stuttgart ist das Thema elementar, und hinzu kommt, alle neuen Bahnhöfe, alle (so?..) Bahnhöfe werden im Regelfall als Durchgangsbahnhof gebaut. Deswegen spricht viel, nein alles für Stuttgart als Durchg’bahnhof hoch auf den Flughafen.“

Le commissaire européen pour l’énergie G. H. Oettinger a dit pendant une discussion publique : “ Personne ne vit à l’ouest de Paris, là il y a seulement des vaches et l’Atlantique“

18.11.2011

Dummes Volk und Volksabstimmung

Die Baden-Württemberger durften noch nie über ein politisches Thema in einem Volksentscheid bestimmen. Auch über ihre Landesverfassung nicht, die seit 19.11.1953 in Kraft ist. Nur die Badener erhielten vom Bundesverfassungsgericht 1969 die Erlaubnis zu entscheiden, ob das Land Baden in den Grenzen von 1945 wieder hergestellt werden soll. In einer Volksabstimmung lehnten sie dies 1970 ab.(Eine Abstimmung über die Auflösung des Landtags am 19.9.1971 scheiterte, weil nur 16 Prozent der Abstimmungsberechtigten von ihrem Recht Gebrauch gemacht hatten)

Seitdem entschieden andere über alle wichtigen Angelegenheiten des Volkes. Das Volk selbst hat deshalb keinerlei Übung . Eigentlich – unter uns gesagt – ist es zu dumm, um zu entscheiden.

Der Lokalchef der Südwestpresse in Ulm kam deshalb nicht umhin festzustellen, dass in der Stadt „Irritation“, „Verwirrung“ und „Verunsicherung“ herrsche. Die ersten verzweifelten Bürger seien bereits bei städtischen Behörden vorstellig geworden, um dort um Aufklärung zu bitten. In der Zeitungsredaktion klingelten die Telefone ohne Unterlass. Die ersten Opfer der Volksabstimmung seien bereits mit ausgeprägten Symptomen von Neurosen in die psychiatrischen Abteilungen von Kliniken eingeliefert worden. Oberbürgermeister Gönner erwäge ernsthaft, den Volksentscheid abzusagen, um die Ulmer Volksgesundheit nicht zu gefährden.

In dieser angespannten Situation wollen auch wir vom DF-Stammtisch einen kleinen Beitrag zur Beruhigung der Lage leisten. Für Sie, liebe Leser, haben wir hier einen Stimmzettel (nicht zu verwechseln mit Stimmschein, Stimmberechtigung, Wahlzettel,Wahlschein oder Wahlberechtigung) abgedruckt.

Volksabstimmung.Stimmzettel.

Sie sehen in der Mitte des Amtlichen Stimmzettels zwei Kreise. In einem dieser Kreise dürfen Sie ein Kreuz machen. Mit Bleistift, Kugelschreiber, Füller, usw. Wenn Sie das Kreuz im linken Kreis machen (also links neben Ja), wollen Sie, dass die Landesregierung für Stuttgart 21 keinen Cent bezahlt. Wenn Sie das Kreuz im rechten Kreis machen (also rechts von Nein) stimmen Sie dafür, dass das Land Baden-Württemberg für die Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofes 824 Millionen Euro zahlt, wahrscheinlich nach Fertigstellung des Projektes aber erheblich mehr (bis zu 2,4 Milliarden).
Das ist schon eine verdammt komplizierte Fragestellung, die wohl selbst
akademisch vorgebildeten Personen alles abverlangt.

Deshalb sollen jetzt auch in Ulm von der Südwestpresse, der Industrie- und Handelskammer und der Stadtverwaltung Volksbildungskurse angeboten werden, die kommenden Montag beginnen und von morgens sieben Uhr bis abends 22 Uhr ohne Unterbrechung stattfinden (Dauer jeweils eine halbe Stunde, 100 Teilnehmer pro Kurs).

Wie der Präsident der IHK Dr. Peter Kulitz, Oberbürgermeister Ivo Gönner (SPD) und Hans-Uli Thierer (SWP) gemeinsam im Rahmen ihrer „Aktionsfront Tiefbahnhof Stuttgart 21“ bekanntgaben, besteht das Ziel der Kurse darin, allen Teilnehmern „einfach,verständlich, klar und objektiv“ zu erklären, warum der brave Ulmer sein Kreuz im rechten Kreis machen muss, wenn er ein Absacken der Wirtschaftsleistung Ulms auf das Niveau von 1947 und eine Arbeitslosenquote von 85 Prozent unter arbeitsfähigen Ulmer Bürgern vermeiden will.

Politische Bekenntnisse und Neutralitätspflicht

Dürfen eigentlich führende Mitarbeiter einer Stadtverwaltung, die ja bekanntlich der ganzen Bürgerschaft verpflichtet sind und in politischen Auseinandersetzungen Neutralität wahren müssen, in einem politischen Konflikt in Zeitungsannoncen Stellung beziehen?

Der Behördenleiter „Liegenschaften und Wirtschaftsförderung“ bei der Stadt Ulm Dipl.-Verwaltungswirt Ulrich Soldner und der Chef der Abteilung Haus der Stadtgeschichte / Ulmer Stadtarchivs Dr. Michael Wettengel setzten sich in einer Anzeige in der SWP am 5.11.2011 engagiert für den Bau von Stuttgart 21 und somit für ein Nein bei der Volksabstimmung am 27.11. ein.

Ist ein solches Verhalten mit ihren Dienstpflichten vereinbar? Wurden sie vielleicht von ihrem Vorgesetzten, Oberbürgermeister Gönner, direkt oder indirekt dazu veranlasst, sich öffentlich politisch zu äußern?

Wo wird das enden, wenn in Zukunft auch Schulrektoren, leitende Polizeibeamte, Offiziere, Richter usw. anderen ihre politische Meinung kundtun?

Wie man mit dem dummen Volk umgeht

Es bräuchte gar nicht so viel Engagement, um Fehlentscheidungen des Volkes zu verhindern, wenn wir mehr so fähige Leute hätten wie den früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten und jetzigen EU-Kommissar Günther Oettinger.

Schon 2009 erwartete Oettinger sehr viel höhere Kosten für den Bau von Stuttgart 21. Seine Beamten hatten ihm ausgerechnet, dass die Tieferlegung des Bahnhofes mehr als 4,5 Milliarden Euro (offizielle Kostenrechnung) kosten werde , wahrscheinlich bis zu 6,5 Milliarden.

Um die SPD im Landtag und die Öffentlichkeit nicht gegen das Projekt aufzubringen, verbot Oettinger – wie der SPIEGEL in seiner Online-Ausgabe vor wenigen Tagen berichtete – damals seinen Beamten, weitere Berechnungen anzustellen.

Sehen Sie, verehrte Leser, so muss man mit dem Volk umgehen. Eine kleine Trickserei ist moralisch immer gerechtfertigt, wenn sie höheren Zwecken dient.

(Quelle: SPIEGEL 45/2011. „Wie die frühere Landesregierung die Kosten für Stuttgart 21 geschönt hat“)

11.11.2011

Ulm bangt vor WikiLeaks

250.000 äußerst interessante Depeschen haben amerikanische Diplomaten seit 2004 verfasst und an ihr Außenministerium gesandt. In diesen vertraulichen und teils geheimen Berichten über Politiker in aller Welt gaben die Damen und Herren vom diplomatischen Dienst eigene Beobachtungen und Einschätzungen, aber auch Gerüchte an das Ministerium weiter. WikiLeaks wird diese Dokumente auf seiner Internetplattform veröffentlichen. Einzelheiten sickerten in Deutschland bereits durch. Aufregung herrscht wegen der Veröffentlichung nicht nur in Berlin, sondern auch in Stuttgart und Ulm.

Wie unser südbadischer DF-Stammtisch-Mitarbeiter ermittelte, enthalten die Depeschen auch Aussagen über den vormaligen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs Günther Oettinger. Oettingers Entsendung nach Brüssel erklären die US-Diplomaten als Schritt, um eine „ungeliebte lahme Ente von einer wichtigen CDU-Bastion zu entfernen“.

Wie bekannt wurde, sind in den Berichten der US-Diplomaten auch Anmerkungen über die Donaustadt Ulm und ihre politische Führung enthalten. So wird hervorgehoben, dass die Neigung Ulmer Kommunalpolitiker zu kriminellem Handeln statistisch überdurchschnittlich stark ausgeprägt sei.

Als Bespiele nennen die Depeschen den CDU-Gemeinderat und OB-Kandidat aus dem Jahr 1999 Frank Ahnefeld und den amtierenden Ulmer Baubürgermeister Alexander Wetzig. (Anmerkung: Während Ahnefeld ungeniert in die Kasse eines Vereins griff, um seiner Überschuldung Herr zu werden, wird Wetzig beschuldigt, einem Freund dabei geholfen zu haben, Geld vor dem Finanzamt zu verstecken.)

Relativ gut kommt indessen der Ulmer Oberbürgermeister Gönner in den Berichten der US-Diplomaten weg, weil er „very very good“ mit verschiedenen amerikanischen Unternehmen, nämlich der Bank PNC (Pittsburgh National Corporation) und dem Konzern AIG (American International Group) beim Verkauf des Ulmer Kanalnetzes zusammengearbeitet habe.

Allerdings bleibt auch das Ulmer Stadtoberhaupt nicht gänzlich von Kritik verschont. Der „Lord Mayor Gönner“ sei ein „good, funny and gemutlicher fellow“, der einerseits engagiert bei Anti-Drogen-Kampagnen mitarbeite, andererseits aber Nikotin und Alkohol durchaus zugetan sei. Als Beleg wird u.a. aus einer Rede zitiert, die Ivo Gönner am 28.10.2010 in Stuttgart vor Stuttgart-21-Befürwortern gehalten hat, in der es wörtlich heißt:

„Ich gebe zu, ich bin heute auch deswegen gern nach Schdug´rt gekommen, weil ich möglicherweise nachher doch noch Gelegenheit hab, ein Viertele zu trinken. Weil sie wissen ja: An Ulm, isch älles guad, mit oiner Ausnahm: ´s gibt koin Wei.“

In Ulm jedenfalls herrscht große Spannung. Über welchen Ulmer Kommunalpolitiker haben die US-Diplomaten noch nach Washington berichtet? Was soll passieren, wenn die Depeschen ans Licht bringen, dass sich Ulmer Politiker als Polygamisten, Heiratsschwindler, Marihuanakonsumenten, Schwarzfahrer und Hütchenspieler betätigt haben? Muss das Kontrollorgan der Bürgerschaft dann doch möglicherweise Verwaltungsbeamte abberufen? Oder kann der Gemeinderat diese Verfehlungen ignorieren, weil sie rein privater Natur sind und mit der Amtsausübung nichts zu tun haben?

Bald wissen wir mehr.

29.11.10

Post aus Brüssel

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Gönner, mein lieber Freund Ivo,

hier in Brüssel fühle ich mich richtig wohl! Als Energiekommissar muss ich erst morgens um 11 Uhr 30 im Kommissariat sein und schon um 13 Uhr geht s mit einem Kollegen oder einer Kollegin zum Mittagsessen. In dem 7-Sterne-Lokal, das ich alltags bevorzuge, steht seit neuestem ein Meisterkoch in der Küche, der vor allem für die Zubereitung schwäbischer Speisen in der ganzen Welt höchstes Ansehen genießt. Sie müssten mal seine schwäbischen Maultaschen oder seinen Kässpätzle (mit Ackersalat!) probieren – ein Gedicht!

Auch die Verständigung mit meinen Untergebenen läuft problemlos, sie haben nach meiner Nominierung zum Kommissar Deutsch gelernt und verstehen bereits sehr viel. Nachmittags verschaffe ich mir meist einen Überblick über die Geschenke, die ich an diesem Morgen von der europäischen Energiewirtschaft erhalten habe. Sie glauben ja gar nicht, lieber Herr Oberbürgermeister, wie zuvorkommend ich behandelt werde. Allein in den letzten zwei Wochen wurden uns von mehreren Energiekonzernen so viele Reisen geschenkt, dass wir für Jahre im Voraus eingedeckt sind. Aber Sie wissen ja, dass ich gar nicht so gerne reise. Auslandsaufenthalte sind mir im allgemeinen wegen des unverträglichen Essens und der nicht bekömmlichen Getränke kein allzu großes Vergnügen.

Auch mein Sprachtraining macht Fortschritte. Die fünf äußerst hübschen Sprachlehrerinnen, die sich um die Verbesserung meiner Englischkenntnisse kümmern, scheuen keine Mühen und sind zu allem bereit, wenn auf diese Weise Lernfortschritte erzielt werden können. Monique hat mir sogar eine Liste wichtiger deutscher Redewendungen mit der passenden Übersetzung ins Englische zusammengestellt (siehe unten).

Mein lieber Ivo Gönner, ich kann Ihnen nur raten, ernsthaft in Erwägung zu ziehen, auch hierher nach Brüssel zu kommen, wenn Sie Ihren Job als Bürgermeister in fünf Jahren in Ulm erledigt haben werden. Hier sind Sie ein freier Mensch und werden nicht von jedem x-beliebigen Federfuchser dauernd danach gefragt, warum Sie dies getan, jenes unterlassen und wofür wie viel ausgegeben haben. Machen Sie sich keine Sorgen, weil Sie kein Englisch können, lieber Ivo Gönner. Sie brauchen weder übertrieben große Sachkenntnisse noch Sprachkenntnisse; gefragt ist der Generalist mit natürlichem Charisma!

Damit Sie sich einen Überblick verschaffen können, sende ich Ihnen, lieber Herr Oberbürgermeister, im Anhang eine Liste wichtiger Redewendungen, die in meinem Kommissariat gebräuchlich sind. Sie werden sehen: die meisten sind auch Ihnen bestens vertraut und ihre englische Übersetzung ist kinderleicht. Für heute schließe ich mit den besten Wünschen an die Frau Gemahlin.

Ihr
Günther Oettinger

In Brüssel gebräuchliche deutsche Redewendungen

*I understand just train-station* – ich versteh nur bahnhof

*sorry, my english is under all pig* – entschuldige, mein englisch ist unter aller sau

*I think I spider* – ich glaub ich spinne

*the devil will i do* – den teufel werd ich tun

*my lovely mister singing club* – mein lieber herr gesangsverein

*come on…jump over your shadow* – komm schon…spring über deinen schatten

*you walk me animally on the cookie* – du gehts mir tierisch auf den keks

*there my hairs stand up to the mountain* – da stehen mir die haare zu berge

*tell me nothing from the horse* – erzähl mir keinen vom pferd

*it’s not good cherry-eating with you*- es ist nicht gut kirschen essen mit dir

*now it goes around the sausage*- jetzt geht’s um die wurst

*there you on the woodway*- da bist du auf dem holzweg

*I hold it in head not out* – ich halt’s im kopf nicht aus

*I see black for you* – ich seh schwarz für dich

*your are so a fear-rabbit* – du bist so ein angsthase

*are you save?* – bist du sicher?

*give not so on* – gib nicht so an

*heaven, ass and thread!* – Himmel, Arsch und Zwirn!

*Human Meier* – Mensch Meier

*you have not more all cups in the board* – du hast nicht mehr alle tassen im schrank

*she had a circleroundbreakdown* – sie hatte einen kreislaufzusammenbruch

*I know me here out* – ich kenn mich hier aus

*I fall from all clouds* – ich fiel aus allen Wolken

*no one can reach me the water* – niemand kann mir das wasser reichen

*not the yellow of the egg* – nicht das gelbe vom ei

*everything in the green area* – alles im grünen bereich

*I die for Blackforrestcherrycake* – Ich sterbe für Schwarzwälderkirschtorte

*it walks me icecold the back down* – es läuft mir eiskalt den rücken runter

*I’m foxdevilswild* – ich bin fuchsteufelswild

*now you look but silly out of the clothes* – Jetzt schaust Du aber dumm aus der Wäsche

16.3.10

Oettinger spricht Englisch

 

Englisch wird die Arbeitssprache des zukünftigen EU-Kommissars Guenther Oettinger. Deshalb übte er bereits bei einem offiziellen Anlass.

Ob sich das Ergebnis sehen lassen kann, beurteilen Sie besser selbst, verehrte Leser.

Am 27.1.2010 gab Guenther Oettinger im Stuttgarter Landtag eine Pressekonferenz. Wie ein lokaler Fernsehsender herausfand, hat der Ministerpräsident mit seiner missglückten Rede keine Probleme. Die “mediale Bedeutung” entspreche nicht der “objektiven Bedeutung” meinte der baden-württembergische Ministerpräsident. Wenn er in Brüssel sei, so Oettinger, habe er vor, “die Fachbegriffe vertieft zu lernen und wahrzunehmen”.

So allmählich haben wir den Verdacht, dass durch Günther Oettinger der Geist Heinrich Lübkes fortlebt.

27.1.2010

Ulm und die EU

Sehr verehrter Herr Oberbürgermeister Gönner,

ich schreibe Ihnen aus Mitleid. Es war kaum zu ertragen mit ansehen zu müssen, wie am Mittwoch vergangener Woche ein sogenannter Staatsgipfel in Ulm stattfand, der sich am Ende bei nüchterner Betrachtung als flaches und einfallsloses Kasperletheater entpuppte, das nicht einmal eine kurze Meldung in der Lokalzeitung wert gewesen wäre. Zwei Tage hatten die Redakteure H.U. Mayer und J. Resch seitenweise Berichte und Ankündigungen in der SWP geschrieben, hatte mit ganz großen Worten nicht gespart und das Treffen von Ulm in eine historische Dimension gerückt. Und was kam am Ende heraus? Der Ihnen, Herr Oberbürgermeister, bekannte römischen Dichters Horaz hätte gesagt: Der Berg kreißte und gebar eine Maus.

Ein paar Politiker aus der Slowakei, aus Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien und Rumänien waren angereist, hörten eine missglückte Rede des baden-württembergischen Ministerpräsidenten, trugen sich ins Goldene Buch der Stadt ein und verabschiedeten eine Erklärung, in der sie alle Welt wissen ließen: „Wir wollen Geld aus den Kassen der EU. Das brauchen wir, um unsere maroden Haushalte zu sanieren. Um besser an die Fördertöpfe ranzukommen, schließen wir uns zusammen.“ Anschließend speisten die Staatsgäste Sauerkraut mit Knödel, reisten wieder ab und Ihnen, Herr Oberbürgermeister, bleibt der Spott der Bürger.

Als loyaler und besorgter Citoyen sehe ich es als meine Pflicht, Ihnen ein paar Ratschläge vorzutragen, um zukünftigem Schaden vorzubeugen und den Nutzen unserer Stadt auf einfachem Weg zu mehren.

1. Halten Sie sich vom Ministerpräsidenten Oettinger fern und lassen Sie sich von dessen plumpten Schmeicheleien, in denen er das Donaubüro in den höchsten Tönen lobt, nicht umgarnen. Der erfolglose Ministerpräsident lenkt mit seinem Engagement für die Donauländer nur von seinen Misserfolgen in der Landespolitik ab. Hinzu kommt, dass Herr Oettingers Reden oft mit unfreiwilliger Komik und schiefen Bildern gespickt sind. So bleibt es nicht aus, dass jemand, der häufig in seiner Gesellschaft gesehen wird, selbst an Ansehen einbüßt.

2. Sorgen Sie, verehrter Herr Gönner, doch bitte dafür, dass der alberne Greis Erhard Busek, zukünftig nicht mehr im Dienste der Bildungsarbeit der Donauakademie aktiv wird. Schiffchenfahren auf der Donau, das Erzählen belangloser Geschichtchen und das Zitieren von Sprichwörtern, die wirklich alle kennen, sind nicht geeignet, Jugendliche im Sinne einer Völkerverständigung zu erziehen. Sie bewirken nur eines: Gähnende Langeweile.

3. Mein dritter und letzter Vorschlag ist zweifellos der radikalste und einer, der Ihnen persönlich, Herr Oberbürgermeister Gönner, die meisten Opfer abverlangt. Ulm soll in der Welt bekannter werden und die Stadtkasse soll aus den großen Geldtöpfen der EU in Brüssel optimal gefüllt werden. Der einfachste Weg hierzu ist folgender: Lassen Sie, Herr Oberbürgermeister, Ihre Ehe durch den Papst annullieren. Heiraten Sie die EU-Regional- Kommissarin Danuta Hübner. Die früher von europäischen Herrscherhäusern praktizierte Heiratspolitik zum Zwecke der Vergrößerung von Ansehen und Macht taugt für die aufstrebende Stadt Ulm durchaus als Vorbild. Wenn Ihre Gemahlin Danuta am Wochenende von Brüssel nach Ulm kommt, könnte sie die neuesten Antragsformulare auf EU-Zuschüsse für kommunale Projekte mitbringen.

Sie dürfen sich durch kleinkarierte Einwände nicht beirren lassen. Die Stadträson geht über alles. Gut ist, was Ulm nützt. Und stellen Sie sich, Herr Oberbürgermeister, doch bitte einmal vor: Durch Ihre Ehe mit der Frau Kommissarin kämen bald anstelle des rumänischen Premierministers Emil Boc und der stellvertretenden Ministerpräsidentin Bulgariens Meglena Plugtchieva regelmäßig Silvio Berlusconi und Nikolas Sarkozy nach Ulm. Das würde Ulm die volle Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit verschaffen!
Ich verbleibe für heute mit lieben Grüßen
Ihr
Quasselstrippe
(Wirt von Gasthaus Donaufisch)

/10.5.2009

Stuttgart 21 und das Donaubüro



1.Oettingers Milliardengrab „Stuttgart 21“

Fast allen Lesern dürfte bekannt sein, dass die Bundesbahn, das Bundesverkehrsministerium, das Land Baden-Württemberg und Stuttgart ein Projekt planen, das sie „Stuttgart 21“ nennen. Es sieht eine Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofes unter die Erde und eine Neuordnung des gesamten Schienenverkehrs von Stuttgart zum Flughafen und nach Wendlingen vor, wo eine neue Bahnstrecke nach Ulm entstehen soll. Die ursprünglichen Planungen gingen von 2,8 Milliarden Euro Kosten für das Projekt „Stuttgart 21“ aus. Lange Zeit verteidigte die Landesregierung ihre Kalkulationen und warf allen Kritikern, die wesentlich höhere Kosten befürchteten, Panikmache vor.

Am 14.8.2008 gab der Innenmister Baden-Württembergs Heribert Rech einen kleinen Flüchtigkeitsfehler zu: In der Kalkulation war versäumt worden, die Preissteigerungen bis zum Jahr der Fertigstellung des Projektes (im Jahr 2020) einzuberechnen. „Stuttgart 21“ koste, so Heribert Rech vor drei Monaten gut 3,1 Milliarden – aber keinen Cent mehr!

Nun fertigte der Bundesrechnungshof für den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages einen Bericht über „Stuttgart 21“, in dem von mindestens 5,3 Milliarden Euro Kosten ausgegangen wird. Da das Bundesverkehrsministerium nicht mehr bezahlen will, als in einem Vorvertrag im Juli 2007 festgelegt wurde (500 Millionen Euro), könnte das Projekt „Stuttgart 21“ nur fortgeführt werden, wenn die anderen Vertragspartner einen wesentlich höheren Anteil an den Gesamtkosten übernähmen. Das scheint unmöglich. Deshalb ist das Projekt „Stuttgart 21“, das neben der CDU auch von der SPD im Stuttgarter Landtag nachdrücklich unterstützt wird, mit großer Sicherheit gescheitert.

Bis die Landesregierung dieses Scheitern öffentlich eingestehen wird, werden noch Monate vergehen und zahlreiche Versuche unternommen werden, das Planungsversagen herunterzuspielen und durch hilflosen Aktionismus die Öffentlichkeit zu täuschen. Die folgende Geschichte erzählt von diesem Aktionismus und dessen Auswirkung auf Ulm, die kommende Kulturhauptstadt Europas.

*

2.Der Ministerpräsident schreibt einen Brief

Hoch verehrter Oberbürgermeister Ivo Gönner!
Wie Sie wissen, kommt der Bundesrechnungshof bei seiner völlig abwegigen Rechnerei zu einer unverantwortlichen und fehlerhaften Kalkulation der Kosten unseres Jahrtausendprojektes „Stuttgart 21“. Dabei hat sich mein Innenminister Heribert Rech bei seiner Kostenschätzung so viel Mühe gegeben und so viel Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit walten lassen. Zwar ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Richtigkeit unserer Berechnungen erweisen wird. Aber bis dahin wird die vom Bundesrechnungshof irregeführte Öffentlichkeit von der Landesregierung einen Nachweis verlangen, dass Baden-Württemberg willens und in der Lage ist, einen höheren Anteil an den Gesamtkosten zu übernehmen. Dies ist nur möglich, wenn wir an anderer Stelle unserer Ausgaben Kürzungen vornehmen, da wir es entschieden ablehnen, neue Schulden zu machen. Deshalb muss ich Ihnen, verehrter Oberbürgermeister Gönner, leider mitteilen, dass bis auf Weiteres aus Landesmitteln keine Zuschüsse mehr an das Donaubüro, das Donaufest und die Donauakademie geleistet werden können. Dennoch bin ich zuversichtlich, was den Erfolg Ihrer Donauaktivitäten anbelangt. Sollte es Ihnen gelingen, sich noch stärker als bisher an großen Vorbildern wie dem Oktoberfest in München oder dem Cannstatter Wasen zu orientieren, könnten Sie einerseits einen unschätzbaren Beitrag zur Völkerverständigung leisten; andererseits würde die massenhafte Teilnahme von trinkfreudigen Menschen aus allen Kontinenten (wie das in München und Stuttgart ja der Fall ist) zu einem so guten betriebswirtschaftlichen Ergebnis führen, dass zukünftig öffentliche Zuwendungen überflüssig werden. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr Ministerpräsident und Freund Günther Oettinger

3.Ein Stadtoberhaupt macht sich Sorgen

Der Brief des Landesvaters bereitete Oberbürgermeister Gönner großen Kummer. Könnten die ausbleibenden Landesmittel durch Geld aus der städtischen Kasse ersetzt werden? Bestand Aussicht, dass der Direktor des Donaubüros einmal in seinem Leben ein Projekt auf die Beine stellen würde, das auch ohne finanzielle Zuschüsse lebensfähig wäre? Nein, letzteres war undenkbar. Einem Genie auf dem Gebiet des Kulturmanagements durften auch keine finanziellen Beschränkungen auferlegt werden, das gebot das Selbstverständnis einer Stadt, die bald in der kulturellen Champions League spielen würde. Den Stadträten mehr Geld abzutrotzen schien unmöglich, wo doch im kommenden Jahr die Kommunalwahl anstand und jeder Stadtrat darauf achten musste, vor den Wählern nicht als Geldverschwender und leichtgläubiger Anhänger absonderlicher Donauvisionen dazustehen. Da half auch das bewährte Mittel nicht, die Stadträte kostenlos kreuz und quer durch Europa reisen zu lassen – alles im Dienste der völkerverbindenden Donauidee, versteht sich. Sollte der Bau einer schon beschlossenen Multifunktionshalle gestoppt werden, um mit dem eingesparten Geld der grandiosen Donauidee zum Erfolg verhelfen zu können? Was soll bloß mit dem Donaubüro und seinem verdienten Direktor und meinem Freund Peter Langer geschehen? fragte sich Oberbürgermeister Gönner gramgebeugt.

4.Die Lösung des Problems

Doch wie immer in schwierigen Situationen fand der Oberbürgermeister einen Weg. Die Leitung von Donaubüro, Donauakademie und Donaufest sollte der überaus erfolgreichen Ulmer Bürgermeisterin für Kultur und Soziales übertragen werden. Gönner war sich sicher, dass diese Frau der Aufgabe gewachsen war, mit einem stark gekürzten Budget die Arbeit fortzusetzen, bis wieder besser Zeiten kämen. Und was sollte aus dem Direktor des Donaubüros werden? Aus dem Träger des Bundesverdienstkreuzes? Aus dem Leuchtturm Ulmer Kulturpolitik? Aus dem Mann, der die Friedensbewegung erfunden und durch die von ihm 1983 organisierte Menschenkette den Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Paktes wenige Jahre später herbeigeführt hatte? Aus dem zurückhaltenden, stets taktvollen, mit Besonnenheit und Bescheidenheit auftretenden Balkanminister der Stadt Ulm? Ja, wo passte so ein Mann besser hin als in ein Museum? Generaldirektor des Donauschwäbischen Zentralmuseums Ulm – das war ein adäquate Position. Und vielleicht wäre es dann sogar möglich, in diesem Hause unter der neuen Leitung eine kleine Abteilung einzurichten, die das gesamte Wirken des Kulturmanagers Peter Langer in Ulm dokumentiert.

5.11.2008