Die Pisa-Studie versucht die Leistungsfähigkeit und Qualität von Schulsystemen verschiedener Länder miteinander zu vergleichen. Alle drei Jahre führt die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Tests in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften durch, an denen mehrere Tausend Schüler im Alter von 15 Jahren teilnehmen. Im Jahr 2000 wurde die erste Pisa-Studie erstellt; die neuesten Daten stammen von 2006 und wurden in 57 Ländern an 230 Schulen gesammelt, im Mittelpunkt stehen naturwissenschaftliche Kompetenzen der Schüler. Weltweit arbeiten 300 Wissenschaftler und ihre Mitarbeiter daran, Testaufgaben zu erstellen und die Ergebnisse der Tests auszuwerten.
Offiziell werden die neuesten Pisa-Ergebnisse erst am kommenden Dienstag von der OECD bekannt gegeben. Durch Indiskretionen einer spanischen Lehrerzeitung sind bereits einige Ergebnisse in die Öffentlichkeit gelangt. Danach schnitten die deutschen Schüler mit einem 13. Platz unter 57 Teilnehmerländern sehr passabel ab.
Kaum waren Teile der Pisa-Studie bekannt und eine ganz vage gehaltene Äußerung von Andreas Schleicher, dem Pisa-Koordinator der OECD, veröffentlicht, meldeten sich schon die konservativsten deutschen Bildungspolitiker zu Wort. Der niedersächsische Kultusminister Bernd Busemann will aus zukünftigen Pisastudien aussteigen. Annette Schavan, die deutsche Bundesbildungsministerin, glaubt, dass Andreas Schleicher der OECD schade und ein schlechter Berater der Mitgliedsländer sei, im Klartext : Schavan verlangt, dass ihn die OECD rausschmeißt.
Hintergrund der Anfeindungen ist nicht die Tatsache, dass Schleicher ganz vorsichtig davor gewarnt hat, die jetzigen Ergebnisse mit älteren ohne Vorbehalte zu vergleichen. Der Grund für die rüden Angriffe ist, dass der studierte Mathematiker und Physiker in der Vergangenheit immer wieder auf die gravierenden Mängel des dreigliedrigen Schulsystems in Deutschland hingewiesen hat.
Dabei steht der OECD-Mitarbeiter Schleicher mit seiner Kritik am deutschen Schulsystem keineswegs alleine. Immer mehr Wissenschaftler und Bildungspolitiker, Schulpraktiker (Lehrer und Rektoren) und Eltern verlangen eine grundsätzliche Reform des dreigliedrigen Schulsystems. Es selektiere, so heißt es, Schüler viel zu früh (am Ende der 4. Klasse im Alter von zehn Jahren) und führe zu einer systematischen Benachteiligung von Kindern aus sozial schwachen Schichten und Migrantenfamilien.
Schleicher hat diese Benachteiligung am eigenen Leib erfahren : Am Ende seiner Grundschulzeit erhielt er zunächst keine Empfehlung fürs Gymnasium; später schaffte er den Sprung ans Gymnasium doch noch und legte seine Reifeprüfung mit einer Note von 1,0 ab.
Es gibt Schüler, die von ihrem Lehrer eine schlechte Zensur erhalten, und daraufhin den Lehrer attackieren, indem sie ihm Parteilichkeit oder Inkompetenz vorwerfen. Die Ursache für ihre schlechte Benotung suchen sie zuletzt bei sich selbst. Von einer Bundesbildungsministerin erwarte ich, dass sie sich nicht benimmt wie eine Schülerin, die ihren charakterlichen Reifungsprozess noch lange nicht abgeschlossen hat. Ist diese Erwartung zu hoch?
Erhält Annette nun wegen Undiszipliniertheit eine Stunde Arrest?