In eigener Sache

Die Situation ist lebensbedrohlich und erfordert rasches Handeln. Das verlangt alle Aufmerksamkeit und Energie. Für andere Aufgaben ist keine Zeit mehr. Ich vertraue der ärztlichen Kunst, eine Wahl gibt es nicht. Das ist die Erklärung, warum auf unbestimmte Zeit hier an diesem Ort geschwiegen werden wird. Niemand soll dem Irrtum erliegen, die Welt zwischen Donau und Münsterturm habe sich so sehr zum Guten entwickelt, dass einer satirischen Betrachtung womöglich der Stoff ausgegangen sei…

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Text : Heinrich Heine. Musik & Performance: Donaufisch
Aus: Heine.Gedichte 1853. Zum Lazarus, II

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Liebesglück und Liebesleid

oder: Sex als List der Evolution

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Eine Sichtweise (die poetische)

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Verliebt sein – auf keine Gegenliebe stoßen. Geliebt werden – Liebe nicht erwidern. Leid erfahren, Leid verursachen. Wenn es gut geht: Himmelhochjauchzend wechselseitig lieben: immer an den Geliebten denken…von der Stimme der Geliebten betört sein. Glücksempfinden in der gemeinsamen Zeit …der Duft der Angebeteten, die Wonnen sanfter Berührungen – doch das alles oft nur von kurzer Dauer. Was folgt ist Liebespein. Aber wie arm, das nie erlebt zu haben.

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Eine andere Sichtweise (die biologische)

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Sollte die Liebe nüchterner betrachtet werden? Etwa so, wie Franz Moor es tut, der es nicht verwindet, dass der Vater stets seinem Bruder Karl den Vorzug gab, und deshalb den Liebesakt, der zu seiner Zeugung führte, als nichts Heiliges anzusehen vermag: „Wo steckt denn nun das Heilige? Etwa im Actus selber, durch den ich entstund? – Als wenn dieser etwas mehr wäre, als viehischer Prozess zur Stillung viehischer Begierden?“ (Friedrich Schiller, Die Räuber).

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Im traurigen Monat November wars

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Im traurigen Monat November wars,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.

Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zu Mute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.

Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele.

Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich Euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch
Was fleißige Hände erwarben.

(Heinrich Heine)

1.11.2013

EinWintermärchen

Heinrich Heine in der Walhalla

In Donaustauf bei Regensburg steht die berühmteste Ruhmeshalle Deutschlands, die Walhalla. Der bayerische König Ludwig I. ließ sie errichten. Seit ihrer Eröffnung 1842 wurden dort – mehr oder weniger – „bedeutende Persönlichkeiten teutscher Zunge“ durch Büsten oder Gedenktafeln geehrt.

Am 28. Juli 2010 wurde die Sammlung um eine Marmorbüste erweitert. Sie stammt vom Düsseldorfer Bildhauer Bert Gerresheim und zeigt – im Gegensatz zu den benachbarten Steinköpfen – keinen idealisierten Menschen, sondern den alten, kranken, gebrechlichen Heinrich Heine.

Heine (1797-1856) war ein spitzzüngiger, ironischer und politischer Dichter. Einer der besten, die Deutschland je hervorgebracht hat. Seine politischen Ansichten und seine wirkungsvollen Verse führten zu heftigen Anfeindungen. 1831 kehrte er Deutschland den Rücken und ging nach Paris ins Exil, wo der bekennende Anhänger der Ideale der Aufklärung und der französischen Revolution bis zu seinem Tod lebte.

Heine hatte für die Walhalla nur Spott übrig, „marmorne Schädelstätte“ nannte er sie. Jetzt steht er selbst dort. Der Ministerpräsident Bayerns Horst Seehofer analysierte in seiner Rede anlässlich der Enthüllung der Büste: „Heinrich Heine ist ein Phänomen, das als Ganzes genommen werden muss“.

Heine hätte sich über die Worte des Ministerpräsidenten und über die Ehrung köstlich amüsiert.

Heinrich Heine, Die schlesischen Weber

Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben Dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch –

Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöten;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt –
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpresst,
Und uns wie Hunde erschießen lässt –
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt –
Wir weben, wir weben!

Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht –
Altdeutschland, wir weben Dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,

Wir weben, wir weben!

Unter dem Titel „Die armen Weber“ wurde das Gedicht 1844 im „Vorwärts!“ erstmals veröffentlicht und als Flugblatt in den Aufstandsgebieten verteilt.

4.8.2010

Heinrich Heine, Ein Weib

Eine Spitzbübin, die meist nur lacht, und ein Dieb, der in größter Not Unterstützung erwartet, aber bitter enttäuscht wird – Nur wenig Personal bietet Heinrich Heine auf, ein paar Kulissen nur braucht er, um uns die Geschichte eines Paares zu illustrieren…

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Heinrich Heine, Ein Weib

Sie hatten sich beide so herzlich lieb,
Spitzbübin war sie, er war ein Dieb.
Wenn er Schelmenstreiche machte,
Sie warf sich aufs Bett und lachte.

Der Tag verging in Freud und Lust,
Des Nachts lag sie an seiner Brust.
Als man ins Gefängnis ihn brachte,
Sie stand am Fenster und lachte.

Er ließ ihr sagen: O komm zu mir,
Ich sehne mich so sehr nach dir,
Ich rufe nach dir, ich schmachte –
Sie schüttelt‘ das Haupt und lachte.

Um sechse des Morgens ward er gehenkt,
Um sieben ward er ins Grab gesenkt;
Sie aber schon um achte
Trank roten Wein und lachte.

Text : Heinrich Heine. Musik & Performance: Donaufisch

Ein Fräulein stand am Meere

 

 

Gelegentlich ist der Mensch der Gefahr allzu schwärmerischer Naturbetrachtung ausgesetzt. Dann braucht es bisweilen jemanden, der ihn mit nüchternem Wort auf den Boden der Realität zurückholt.

Ein Fräulein stand am Meere

Das Fräulein stand am Meere
und seufzte lang und bang.
Es rührte sie so sehre
der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! Sein sie munter,
das ist ein altes Stück;
hier vorne geht sie unter
und kehrt von hinten zurück.

Text : Heinrich Heine. Musik & Performance: Donaufisch