Vor vielen Jahren lebte König Ivo, der Gönner, in Ulm. Er hielt so ungeheuer viel auf neue Kleider, dass er all sein Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein. Ivo kümmerte sich nicht ums Theater, denn Kunst interessierte ihn nicht. Ivo kümmerte sich nicht um städtische Schwimmbäder, denn er hasste sie schon seit seiner Kindheit. König Ivo liebte es auch nicht, in den Wald zu fahren, außer um seine neuen Kleider zu zeigen. Er hatte einen Rock für jeden politischen Anlass. Immer wählte König Ivo die passende Garderobe aus. Ganz egal ob er auf einer Versammlung von Entlassung bedrohter Iveco-Mitarbeiter im Donautal oder einer Veranstaltung gegen Neonazis auf dem Münsterplatz teilnahm.

In der großen Stadt, in der er wohnte, ging es sehr munter her. An jedem Tag kamen viele Fremde an, und eines Tages kamen auch zwei Betrüger, die gaben sich für Weber aus und sagten, dass sie das schönste Zeug, was man sich denken könne, zu weben verstanden. Die Farben und das Muster seien nicht allein ungewöhnlich schön, sondern die Kleider, die von dem Zeuge genäht würden, sollten zwei wunderbare Eigenschaft besitzen: Jeder, der sie trüge, gelte als über alle Maßen klug in wirtschaftlichen Angelegenheiten, und sie seien für jeden Menschen unsichtbar, der nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich dumm sei.

Das wären ja prächtige Kleider, dachte König Ivo, der Gönner; wenn ich solche hätte, wäre jedermann von meinem wirtschaftlichen Sachverstand überzeugt und ich könnte dahinterkommen, welche Männer und Frauen zu dem Amte, das sie haben, nicht taugen, ich könnte die Klugen von den Dummen unterscheiden! Ja, das Zeug muss sogleich für mich gewebt werden!
Er gab den beiden Betrügern viel Handgeld, damit sie ihre Arbeit beginnen sollten. Sie stellten auch zwei Webstühle auf, taten, als ob sie arbeiteten bis spät in die Nacht hinein.

Nun möchte ich doch wissen, wie weit sie mit dem Zeuge sind! dachte König Ivo, aber es war ihm beklommen zumute, wenn er daran dachte, dass keiner, der dumm sei oder schlecht zu seinem Amte tauge, es sehen könne. Er glaubte zwar, dass er für sich selbst nichts zu fürchten brauche, aber er wollte doch erst einen andern senden, um zu sehen, wie es damit stehe. Alle Menschen in der ganzen Stadt wussten, welche besondere Kraft das Zeug habe, und alle waren begierig zu sehen, wie schlecht oder dumm ihr Nachbar sei.
Ich will meinen ehrlichen Finanzbürgermeister Czisch zu den Webern senden, dachte der König, er kann am besten beurteilen, wie der Stoff sich ausnimmt, denn er hat Verstand, und keiner versieht sein Amt besser als er!

Nun ging der gute Finanzbürgermeister Czisch in den Saal hinein, wo die zwei Betrüger saßen und an den leeren Webstühlen arbeiteten. Gott behüte uns! dachte der Bürgermeister und riss die Augen auf. Ich kann ja nichts erblicken! Aber das sagte er nicht.
Beide Betrüger baten ihn näher zu treten und fragten, ob es nicht ein hübsches Muster und schöne Farben seien. Dann zeigten sie auf den leeren Stuhl, und der Finanzbürgermeister Czisch fuhr fort, die Augen aufzureißen, aber er konnte nichts sehen, denn es war nichts da. Herr Gott, dachte er, sollte ich dumm sein? Das habe ich nie geglaubt, und das darf kein Mensch wissen! Sollte ich nicht zu meinem Amte taugen? Nein, es geht nicht an, dass ich erzähle, ich könne das Zeug nicht sehen!
„Nun, Sie sagen nichts dazu?“ fragte der eine von den Webern.
„Oh, es ist niedlich, ganz allerliebst!“ antwortete der Bürgermeister und sah durch seine Brille. „Dieses Muster und diese Farben! – Ja, ich werde König Ivo sagen, dass es mir sehr gefällt!“

Nun verlangten die Betrüger mehr Geld, mehr Seide und mehr Gold zum Weben. König Ivo gewährte es ihnen.
Der König sandte nun den tüchtigen Baubürgermeister Wetzig hin, um zu sehen, wie es mit dem Weben stehe und ob das Zeug bald fertig sei; es ging ihm aber gerade wie dem ersten, er guckte und guckte; weil aber außer dem Webstuhl nichts da war, so konnte er nichts sehen.
„Ist das nicht ein ganz besonders prächtiges und hübsches Stück Zeug?“ fragten die beiden Betrüger und zeigten und erklärten das prächtige Muster, das gar nicht da war.
Dumm bin ich nicht, dachte der Baubürgermeister; es ist also mein gutes Amt, zu dem ich nicht tauge! Das wäre seltsam genug, aber das muss man sich nicht merken lassen! Daher lobte er das Zeug, das er nicht sah, und versicherte ihnen seine Freude über die schönen Farben und das herrliche Muster. „Ja, es ist ganz allerliebst!“ sagte er zu König Ivo.

Alle Menschen in der Stadt sprachen von dem prächtigen Zeuge. Nun wollte der König es selbst sehen, während es noch auf dem Webstuhl sei. Mit einer ganzen Schar auserwählter Ulmer Gemeinderäte, unter denen auch die beiden ehrlichen Bürgermeister waren, die schon früher dagewesen, ging er zu den beiden listigen Betrügern hin, die nun aus allen Kräften webten, aber ohne Faser oder Faden.
„Ja, ist das nicht prächtig?“ sagten die beiden ehrlichen Bürgermeister. „Wollen Eure Majestät sehen, welches Muster, welche Farben?“ und dann zeigten sie auf den leeren Webstuhl, denn sie glaubten, dass die andern das Zeug wohl sehen könnten.
Was! dachte König Ivo; ich sehe gar nichts! Das ist ja erschrecklich! Bin ich dumm? Tauge ich nicht dazu, Ulms König zu sein? Das wäre das Schrecklichste, was mir begegnen könnte. „Oh, es ist sehr hübsch“, sagte er; „es hat meinen allerhöchsten Beifall!“ und er nickte zufrieden und betrachtete den leeren Webstuhl; er wollte nicht sagen, dass er nichts sehen könne. Das ganze Gefolge, was er mit sich hatte, sah und sah, aber es bekam nicht mehr heraus als alle die andern, aber sie sagten gleich wie der König: „Oh, das ist hübsch!‘ und sie rieten ihm, diese neuen prächtigen Kleider das erste Mal beim nächsten Ulmer Schwörmontag zu tragen.

„Es ist herrlich, niedlich, ausgezeichnet!“ ging es von Mund zu Mund, und man schien allerseits innig erfreut darüber. König Ivo verlieh jedem der Betrüger ein Bundesverdienstkreuz.

Am Morgen vor der Schwörrede kam König Ivo mit den Vornehmsten Ulms selbst, und beide Betrüger hoben den einen Arm in die Höhe, gerade, als ob sie etwas hielten, und sagten: „Seht, hier sind die Beinkleider, hier ist die Jacke, hier ist der Mantel!“ „Es ist so leicht wie Spinnwebe; man sollte glauben, man habe nichts auf dem Körper, aber das ist gerade die Schönheit dabei!“
„Ja!“ sagten alle Begleiter des Königs, aber sie konnten nichts sehen, denn es war nichts da.
„Belieben Eure Majestät, König Ivo von Ulm, Ihre Kleider abzulegen“, sagten die Betrüger, „so wollen wir Ihnen die neuen hier vor dem großen Spiegel anziehen!“
Der König legte seine Kleider ab, und die Betrüger stellten sich, als ob sie ihm ein jedes Stück der neuen Kleider anzogen, die fertig genäht sein sollten, und der König wendete und drehte sich vor dem Spiegel.
„Ei, wie gut sie kleiden, wie herrlich sie sitzen!“ sagten alle. „Welches Muster, welche Farben! Das ist ein kostbarer Anzug!“
„Draußen stehen sie mit dem Thronhimmel, der über Eurer Majestät getragen werden soll!“ meldete der Oberzeremonienmeister Laitenberger.
„Seht, ich bin ja fertig!“ sagte der König. „Sitzt es nicht gut?“ und dann wendete er sich nochmals zu dem Spiegel; denn es sollte scheinen, als ob er seine Kleider recht betrachte.

Die Fraktionsvorsitzenden im Ulmer Gemeinderat, die das Recht hatten, die Schleppe zu tragen, griffen mit den Händen gegen den Fußboden, als ob sie die Schleppe aufhöben, sie gingen und taten, als hielten sie etwas in der Luft; sie wagten es nicht, es sich merken zu lassen, dass sie nichts sehen konnten.
So ging König Ivo unter dem prächtigen Thronhimmel, und alle Menschen auf der Straße und in den Fenstern sprachen: „Wie sind des Königs neue Kleider unvergleichlich! “ Keiner wollte es sich merken lassen, dass er nichts sah; denn dann hätte er ja nicht zu seinem Amte getaugt oder wäre sehr dumm gewesen. Keine Kleider König Ivos hatten solches Glück gemacht wie diese.

„Aber er hat ja gar nichts an!“ sagte endlich ein kleines Kind. „Hört die Stimme der Unschuld!“ sagte der Vater; und der eine zischelte dem andern zu, was das Kind gesagt hatte.
„Aber er hat ja gar nichts an!“ rief zuletzt das ganze Ulmer Volk an jenem Schwörmontagmorgen. Das ergriff König Ivo, den Gönner, denn das Volk schien ihm recht zu haben, aber er dachte bei sich: Nun muss ich aushalten. Und die Fraktionsvorsitzenden gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.

Nach einem Märchen von Hans-Christian Andersen

30.8.2012