Viele werden es nicht wissen: Auch in Bayern wird gewählt. Ob das in allen Gemeinden dieses Bundeslandes der Fall ist, können wir nicht mit Gewissheit sagen. Fest steht, dass die Bürger Neu-Ulms am 16.3.2014 einen Oberbürgermeister wählen können.
Früher wurden dieses Amt traditionell einem Mann anvertraut, der einen mit Rauten verzierten Bierkrug am längsten am ausgestreckten Arm halten konnte und hinterher noch imstande war, sich einen Liter Gerstensaft in den Schlund zu gießen, ohne dabei schlucken zu müssen.
1995 kehrte dann auch in Neu-Ulm die Gleichberechtigung ein. Eine Frau durfte kandidieren. Sie war Mitglied der CSU, akademisch gebildet (mit Doktortitel) und fotogen, erfüllte somit alle verfassungsrechtlich in Bayern geforderten Voraussetzungen. Sie gewann die Wahl, aber schon acht Jahre später kehrte sie der schwäbischen Stadt den Rücken, um in München das Amt der Justizministerin auszuüben und die Untaten der bayerischen Justiz an Gustl Mollath herunterzuspielen.
Gerold Noerenberg (CSU) ist seit 2004 Oberbürgermeister Neu-Ulms. Heuer tritt er wieder zur Wahl an. Seine Konkurrenten sind Dr. Detlev Kröger und Stephan Salzmann.
Herr Dr. Kröger ist Jurist. Als Unternehmer unternahm er einige Experimente. Die „Mindwerk AG“, die „Citywerk GmbH“, die „Xcelso GmbH“ blieben insolvent auf der Strecke. Jetzt berät Dr. Kröger Unternehmen, die vor dem Aus stehen. Unterstützt wird der Kandidat von SPD, Grünen, FWG und FDP.
Stephan Salzmann ist Optikermeister. In Neu-Ulm und Umgebung verkauft er in neun eigenen Geschäften mit Erfolg Brillen. Ihm zur Seite steht die Wählergemeinschaft Bürger pro Neu-Ulm, zu der vor kurzem drei Stadträte der FWG und SPD übergelaufen sind. PRO zählt seither vier Stadträte. Herr Salzmann ist froh, von dieser mächtigen Kraft zum OB-Kandidaten nominiert worden zu sein. Wäre er nicht von der Wählergemeinschaft zum Kandidaten gekürt worden, hätte Herr Salzmann 300 Unterschriften von Unterstützern sammeln müssen. Eine hohe Hürde!
Während der Amtsinhaber bescheidene politische Ziele anstrebt, haben die Herausforderer große Ambitionen.
Dr. Kröger, der nach eigenem Bekunden ein Herz für alle Bürger hat, gleich welcher Herkunft, und sogar über die Gabe der Empathie verfügt, möchte das Donauufer verschönern, einen neuen Politikstil einführen, den Mensch ins Zentrum der Politik stellen, keine Straßenbahn, aber innovative Bussysteme, dann doch eine Straßenbahn und freies W-Lan auf öffentlichen Plätzen, eine kinderfreundliche Stadt mit einer Einladungskultur, mehr Mehrgenerationenhäuser und Lebensmittelläden sowie ein Kinder- und Jugendparlament. Der aufmerksame Beobachter erkennt sogleich: hier formuliert ein kreativer Senkrechtstarter der Politik seine nachhaltigen Utopien.
Auch der Optiker Salzmann, der in den letzten Wochen das politische Feuer in sich entdeckte, offenbarte nicht minder anspruchsvolle Vorhaben. Er möchte ein Bürger-Ohr, das die direkte Verbindung zum Wähler sucht, eine anziehende Innenstadt, ein neues Selbstverständnis (womöglich als erster Schritt auf dem Weg zum neuen Menschen?), bessere Aufenthaltsqualität und Freizeitmöglichkeiten und einen Edelstahlsteg am Donauufer. Sind das nicht erstaunliche Visionen? In den kommenden Wochen, so Salzmann gegenüber der Lokalpresse, möchte er diesen Visionen noch den nötigen Feinschliff geben.
Ganz anders präsentiert sich Amtsinhaber Noerenberg. Er sieht sich als leidenschaftlichen und gelegentlich zu selbstkritischen Menschen, der zu Ungeduld und Perfektionismus neige. Übersteigerter Ehrgeiz ist ihm fremd, vor ihm liegt nach der Wahl nur eine neue Aufgabe neben der Beendigung bereits begonnener: am Heiner-Metzger-Platz möchte er einen achtgeschossigen Neubau errichten, in dem Wohnungen und Geschäfte, die Stadtbibliothek, das Archiv und der Generationentreff unterkommen können. Auf die Frage eines Journalisten, was er sich für Neu-Ulm wünsche, antwortete Noerenberg: „Momentan gar nichts“. Was hatte er bei dieser Antwort im Hinterkopf? Die Neu-Ulmer Schulden in Höhe von 46 Millionen € (2013)? Oder seinen Ulmer Kollegen Ivo Gönner, der sich bei einem Schuldenstand von 118 Millionen € (2012), in zu vielen Großprojekten verzettelt hat?
Da haben sich die OB-Kandidaten Kröger und Salzmann nun so viel Mühe gegeben, ausgeklügelte Programme zu formulieren, die Neu-Ulm in ein Paradies verwandelt hätten. Und wozu das alles? Oberbürgermeister können sie nicht werden, dieser Posten ist für Gerold Noerenberg reserviert. In Neu-Ulm kann bekanntlich (seit der Zeit als noch das Maßkrugstemmen entschied) nur Bürgermeister werden, wer seit seinem 18. Lebensjahr Mitglied der CSU ist. Wozu dann aber Wahlen durchführen?
In Zeiten zunehmenden politischen Desinteresses ist auch das politische System verpflichtet, einen Beitrag zur Unterhaltung der Bevölkerung zu leisten. Diesem Anspruch versucht Neu-Ulm mit der OB-Wahl 2014 gerecht zu werden. Allerdings muss der kritische Betrachter feststellen, dass der Spaßfaktor im OB-Wahlkampf Neu-Ulms im Vergleich zu amerikanischen Wahlkämpfen doch noch sehr klein ist. Noerenberg sollte sich den SPD-Abgeordneten Martin Rivoir aus Ulm zum Vorbild nehmen, der in seinem letzten Wahlkampf ganz auf Programme und Reden verzichtete, und statt dessen die Jugend zum kostenlosen Kinobesuch einlud. So schafft und festigt der clevere Politiker heute die Unterstützung durch Wähler.
Wir Bürger sollten uns auch keine Sorgen darum machen, dass sich die Kandidaten Noerenberg, Kröger und Salzmann für Gottes Lohn abmühen.
Gerold Noerenberg wird nach der Besoldungsgruppe B 7 bezahlt und erhält somit 10.000 € netto monatlich. Da ist es nicht zu viel verlangt, wenn von Zeit zu Zeit ein kleiner Beitrag zur Unterhaltung der Bevölkerung erwartet wird.
Auch Dr. Kröger und Salzmann gehen nicht leer aus. Dr Kröger erhält nach seiner Kandidatur sicher wieder Kredit von der Bank, um erneut sein unternehmerisches Glück zu versuchen. Und Herr Salzmann, dem der Wahlkampf kostenlose Werbung für seine Geschäfte verschafft, wird, wenn wir sein Wahlkampfmotto „Bürger-Ohr“ richtig verstanden haben, außer mehr Brillen bald auch mit großem Erfolg Hörgeräte verkaufen.
