Ulm und die EU

Sehr verehrter Herr Oberbürgermeister Gönner,

ich schreibe Ihnen aus Mitleid. Es war kaum zu ertragen mit ansehen zu müssen, wie am Mittwoch vergangener Woche ein sogenannter Staatsgipfel in Ulm stattfand, der sich am Ende bei nüchterner Betrachtung als flaches und einfallsloses Kasperletheater entpuppte, das nicht einmal eine kurze Meldung in der Lokalzeitung wert gewesen wäre. Zwei Tage hatten die Redakteure H.U. Mayer und J. Resch seitenweise Berichte und Ankündigungen in der SWP geschrieben, hatte mit ganz großen Worten nicht gespart und das Treffen von Ulm in eine historische Dimension gerückt. Und was kam am Ende heraus? Der Ihnen, Herr Oberbürgermeister, bekannte römischen Dichters Horaz hätte gesagt: Der Berg kreißte und gebar eine Maus.

Ein paar Politiker aus der Slowakei, aus Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien und Rumänien waren angereist, hörten eine missglückte Rede des baden-württembergischen Ministerpräsidenten, trugen sich ins Goldene Buch der Stadt ein und verabschiedeten eine Erklärung, in der sie alle Welt wissen ließen: „Wir wollen Geld aus den Kassen der EU. Das brauchen wir, um unsere maroden Haushalte zu sanieren. Um besser an die Fördertöpfe ranzukommen, schließen wir uns zusammen.“ Anschließend speisten die Staatsgäste Sauerkraut mit Knödel, reisten wieder ab und Ihnen, Herr Oberbürgermeister, bleibt der Spott der Bürger.

Als loyaler und besorgter Citoyen sehe ich es als meine Pflicht, Ihnen ein paar Ratschläge vorzutragen, um zukünftigem Schaden vorzubeugen und den Nutzen unserer Stadt auf einfachem Weg zu mehren.

1. Halten Sie sich vom Ministerpräsidenten Oettinger fern und lassen Sie sich von dessen plumpten Schmeicheleien, in denen er das Donaubüro in den höchsten Tönen lobt, nicht umgarnen. Der erfolglose Ministerpräsident lenkt mit seinem Engagement für die Donauländer nur von seinen Misserfolgen in der Landespolitik ab. Hinzu kommt, dass Herr Oettingers Reden oft mit unfreiwilliger Komik und schiefen Bildern gespickt sind. So bleibt es nicht aus, dass jemand, der häufig in seiner Gesellschaft gesehen wird, selbst an Ansehen einbüßt.

2. Sorgen Sie, verehrter Herr Gönner, doch bitte dafür, dass der alberne Greis Erhard Busek, zukünftig nicht mehr im Dienste der Bildungsarbeit der Donauakademie aktiv wird. Schiffchenfahren auf der Donau, das Erzählen belangloser Geschichtchen und das Zitieren von Sprichwörtern, die wirklich alle kennen, sind nicht geeignet, Jugendliche im Sinne einer Völkerverständigung zu erziehen. Sie bewirken nur eines: Gähnende Langeweile.

3. Mein dritter und letzter Vorschlag ist zweifellos der radikalste und einer, der Ihnen persönlich, Herr Oberbürgermeister Gönner, die meisten Opfer abverlangt. Ulm soll in der Welt bekannter werden und die Stadtkasse soll aus den großen Geldtöpfen der EU in Brüssel optimal gefüllt werden. Der einfachste Weg hierzu ist folgender: Lassen Sie, Herr Oberbürgermeister, Ihre Ehe durch den Papst annullieren. Heiraten Sie die EU-Regional- Kommissarin Danuta Hübner. Die früher von europäischen Herrscherhäusern praktizierte Heiratspolitik zum Zwecke der Vergrößerung von Ansehen und Macht taugt für die aufstrebende Stadt Ulm durchaus als Vorbild. Wenn Ihre Gemahlin Danuta am Wochenende von Brüssel nach Ulm kommt, könnte sie die neuesten Antragsformulare auf EU-Zuschüsse für kommunale Projekte mitbringen.

Sie dürfen sich durch kleinkarierte Einwände nicht beirren lassen. Die Stadträson geht über alles. Gut ist, was Ulm nützt. Und stellen Sie sich, Herr Oberbürgermeister, doch bitte einmal vor: Durch Ihre Ehe mit der Frau Kommissarin kämen bald anstelle des rumänischen Premierministers Emil Boc und der stellvertretenden Ministerpräsidentin Bulgariens Meglena Plugtchieva regelmäßig Silvio Berlusconi und Nikolas Sarkozy nach Ulm. Das würde Ulm die volle Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit verschaffen!
Ich verbleibe für heute mit lieben Grüßen
Ihr
Quasselstrippe
(Wirt von Gasthaus Donaufisch)

/10.5.2009

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Frustrationsbewältigung in der Politik

oder:  Frau Dr. Schavan liest vor

Leider vergessen wir allzu oft, dass unsere politischen Führer auch nur Menschen sind. Wie ihre Mitmenschen erleben sie Misserfolge und Anfeindungen, wie andere müssen sie einen Weg finden, um mit ihren Enttäuschungen und ihrer Niedergeschlagenheit fertig zu werden. Einen völlig neuen Weg schlug jetzt Bildungsministerin Schavan ein. Es wäre durchaus denkbar, dass ihr Beispiel für Bewältigung von Frustrationen anderen Politikern als Vorbild dienen wird.
In den vergangenen Monate hatte Frau Dr. Schavan eine Menge Ärger : Studenten feindeten sie wegen ihrer Pläne zur Abschaffung der Ausbildungsförderung an. Bildungsfachleute warfen ihr vor, dass sie mit dem Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem Kindern aus sozial schwachen Verhältnissen eine angemessene Schulausbildung vorenthalte. Die Wirtschaft rügte eine gravierenden Mangel an Ingenieuren und prangerte die hohe Quote an Studienabbrechern an. Und als sei dies alles nicht genug, zog die Ministerin nun den Zorn jener Organisation auf sich, der sie sich auf Erden am meisten verbunden fühlt : der katholischen Kirche. Auf einem CDU Parteitag hatte sich Frau Dr. Schavan, die katholische Theologin ist, für eine Liberalisierung der Forschung mit embryonalen Stammzellen eingesetzt. Mit Erfolg. Denn der Parteitag stimmte mit knapper Mehrheit für ihr Konzept. Da trat Furienkardinal Joachim Meisner auf die Bühne und wetterte : Schavan habe unter dem Druck von Interessenvertretern christliche Prinzipien aufgegeben, sie wirke an der Auflösung unseres Wertefundamentes mit. Schavan sei unwahrhaftig und prinzipienlos und missbrauche das Wort katholisch.
Verletzt und enttäuscht floh die Ministerin in ihre schwäbische Wahlheimat, um sich dort Musischem zu widmen und Gutes zu tun. Gemeinsam mit einem Organisten begab sich Frau Dr. Schavan in Ulm in die Georgskirche und las vor 400 dort versammelten Greisinnen und Greisen Texte zum Thema „… und es kamen Weise aus dem Morgenland“. Die Zuhörerschaft war wie verzaubert von der glockenhellen Stimme, von der kultivierten Sprechweise und der ausdrucksvollen Interpretation. Am Ende wurde stehend Applaus gespendet. Die Seele der Ministerin gesundete.
Die Kunde von diesem Ereignis verbreitete sich rasch im politischen Berlin. Schon finden sich die ersten Nachahmer unter den Spitzenpolitikern, die sich von einem kulturellen Engagement ebenfalls die Bewältigung von Frustrationen erhoffen.
So planen dem Vernehmen nach die grünen Politiker Reinhard Bütikofer und Fritz Kuhn mehrere Auftritte in Comedysendungen; sie wollen Sketche von Stan Laurel und Oliver Hardy nachspielen. Guido Westerwelle wird im Unterhaltungsprogramm des nächsten deutsche Juristentages als Dragqueen zu sehen sein. Von Kurt Beck und Ulla Schmidt wird berichtet, dass sie auf zahllosen Gewerkschaftsveranstaltungen als Gesangsduo auftreten wollen, das altes proletarisches Liedgut zu Gehör bringt. Nun denn. Hoffentlich hilft es.

Vorwärts! Und nicht vergessen,
worin unsre Stärke besteht.
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts! Und nicht vergessen
Die Solidarität!

/ 1.2.08

Missbrauch von Senioren zu Propagandazwecken

Wie die Ulmer Presseagentur meldet, erhebt der Vorsitzende des Seniorenschutzbundes schwere Vorwürfe gegen den amtierenden Oberbürgermeister Ulms. Gönner soll, wie es in einer Pressemitteilung des Seniorenbundes heißt, in den letzten Wochen zahlreiche Seniorinnen und Senioren dazu genötigt haben, sich mit ihm zu Wahlkampfzwecken fotografisch ablichten zu lassen.

Die zahlreichen Fotos, die an exponierter Stelle in der lokalen Presse veröffentlicht wurden, zeigen immer wieder ähnliche Motive: ein väterlich lächelnder Oberbürgermeister gratuliert einer scheu blickenden Jubilarin zum 90. Geburtstag, einem Paar mit völlig ausdruckslosem Blick zum 70. Ehejubiläum usf. Der Seniorenschutzbund habe, so sein Sprecher, Dutzende Anrufe verzweifelter Mitglieder aus Ulm erhalten, die eindringlich um Unterstützung ihres Bemühens baten, sich der aufdringlichen Vereinnahmung durch Gönner zu entziehen.

Der Vorsitzende des Seniorenschutzbundes Theophil Quasselstrippe erklärte wörtlich : „Es ist nicht hinnehmbar, dass eine ganze Bevölkerungsgruppe wie die Senioren zu Propagandazwecken im Wahlkampf von einem Politiker missbraucht wird. In einer Demokratie ist so etwas sittenwidrig. Wir kennen das aus staatssozialistischen Systemen, wie sie im vorigen Jahrhundert existiert haben. In dieser Instrumentalisierung älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger zeigt sich eine eklatante Missachtung der Würde älterer Menschen.“

Ulms OB Gönner wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Ein Kenner der Ulmer Politikszene, der nicht namentlich genannt werden möchte, merkte an, dass Gönners Wahlkampfstrategie noch eine ganze Reihe von Maßnahmen vorsähe, die der Mobilisierung älterer Mitbürger für die Wahl im Dezember dienten.
Unter dem Codewort „Methusalem“ seien diese Maßnahmen zusammengefasst. So sollen Senioren kostenlose Studienplätze an der Donauakademie erhalten, wenn sie im Dezember zur Wahl gehen. Ausserdem bietet die SPD allen Bewohnern von Seniorenresidenzen am Wahltag Fahrdienste in Bussen an, in denen Kaffee und Kuchen gereicht werden. Pflegeheiminsassen können unentgeldliche Hilfe bei der Briefwahl in Anspruch nehmen.

Wie die Forschungsgruppe Wahlen feststellte, zeigt die Wahlkampfstrategie Gönners bei der Gruppe der Wähler über siebzig erste Wirkungen: einer aktuellen Wählerbefragung zufolge wollen über 90 % der älteren Wähler den Amtsinhaber wieder zum Oberbürgermeister wählen. Allerdings trübt ein Forschungsergebnis die Freude im Rathaus : 35 Prozent der älteren Wähler glauben, dass Udo Botzenhardt der Amtsinhaber ist.

8.9.07

Gönners mystischer Ort

…oder : süßes Vergessen

Aus der Lokalzeitung erfuhr ich von der anderen Seite unseres Oberbürgermeisters, der stillen, häuslichen, staunte über den Familienmenschen, dem die Natur über alles geht und den es deshalb immer wieder in die Friedrichsau zieht, wo es ständig Neues zu entdecken gäbe. Ich war berührt. So kannte ich den Oberbürgermeister bisher nicht.

Da ich selbst zwanzig Jahre lang in Heidelberg studiert habe, interessierten mich die Plaudereien Gönners über seine Studienzeit in dieser kurpfälzischen Stadt ganz besonders. Einen „mystischen Ort“ habe der OB als Student im Philosophenweg hoch über den Ufern des Neckars entdeckt, sagte er, um dann wörtlich fortzufahren: „ Wenn ich mich dort aufhielt, hatte ich die besten Gedanken:“

Dieser Satz ließ mich zusammenzucken. War Gönner als junger Mann ein Sonderling? Oder ist es um das Gedächtnis des heute 55jährigen so schlecht bestellt? Welcher Student hätte in den 70er Jahren auf dem Philosophenweg einen Spaziergang gemacht? Der Philosophenweg wurde nur von japanischen und amerikanischen Touristen besucht. Gelegentlich von einer Studentin, die wegen enttäuschter Liebe der Depression verfallen auf den Spuren Hölderlins wandelte. Ab und an von einem Freak, der total stoned, nicht wusste, was er tat…Nein, nein : Ivo Gönner saß wie die meisten gesunden Studenten viel lieber an einem anderen mystischen Ort zwischen Kettengasse und Kornmarkt, in einer Kneipe nämlich mit einer glimmenden und qualmenden Zigarette und einem anregenden Getränk.
Wir werden eben alle alt, dachte ich bei mir, und das Gedächtnis läßt manchen schon sehr früh im Stich. Als ich im DONAUFISCH unsren erfahrenen Hobbypsychologen Max traf und auf Gönners Vergessen ansprach, hatte dieser eine ganz andere Erklärung für das Verhalten des OBs parat.

Max meinte, es handele sich bei Gönners Vergessen um eine besondere Art der Verdrängung, die häufig bei Politikern in Wahlkampfzeiten auftrete. Dabei arrangiere das Unterbewußtsein des Politikers alle vergangenen Ereignisse im Bewußtsein so, dass sie nur in einer Form präsent seien, die viele Wähler anspreche und ihr Wahlverhalten beeinflusse. Der Politiker, meinte Max, könne für die Ammenmärchen, die er erzähle, oft gar nicht verantwortlich gemacht werden, da sich sein Unterbewußtsein jeder Einwirkung durch den Willens entzöge – ein Automatismus gleichsam. Meine Verblüffung war groß. So hatte ich die Sache noch nie gesehen.