Folklore & Inquisition in Ulm

Der Schwörmontag wurde jüngst durch ein Lästermaul als Folkloreveranstaltung geschmäht. In Ulm kommt das einer Gotteslästerung oder Majestätsbeleidigung gleich. Denn der Schwörmontag ist heilig.

Vor ausgewähltem Publikum legt der Oberbürgermeister an diesem Tag auf dem Weinhof (!) die großartigen Erfolge seiner Politik dar, „Rückkoppelung der Regierenden mit den Regierten“ nennt das Reinhold Eichhorn (Freie Wähler); danach gibt der OB einen Ausblick, was er im folgenden Jahr für segensreiche Taten plant.

Am Nachmittag darf das Volk, das vormittags der Schwörrede nicht beiwohnen konnte (Platzmangel), einen vergnüglichen und ausgelassenen Wasserumzug auf der Donau veranstalten und sich hinterher ordentlich einen hinter die Binde gießen.
Sie sehen, verehrte Leser, beim Ulmer Schwörmontag handelt es sich um eine religiös-kultische Handlung. Kritik, dumme Scherze oder gar Spott verbieten sich von selbst.

Deshalb muss jeder, der das Fest der Ulmer als Folklore verunglimpft mit harten Konsequenzen rechnen. Unbarmherzig gehen dabei Oberinquisitor Reinhold Eichhorn und der Assistenzinquisitor Martin Rivoir zu Werke. Gnadenlos ist ihr Vorschlag zur Unterbindung jeglichen Spotts in, um und um Ulm herum.

In einem Strategiepapier schlagen die beiden Recken Eichhorn und Rivoir Oberbürgermeister Gönner folgende Vorbeuge- und Strafmaßnahmen vor. Wir zitieren wörtlich:

„Jeder Ulmer Bürger, jede Ulmer Partei, jeder Verein und auch alle Besucher Ulms haben eine Erklärung zu unterschreiben, dass sie das alljährliche Schwörritual achten und bedingungslos anerkennen, keinerlei Kritik daran üben und es gegenüber jedermann, wenn es sein muss auch mit Gewalt, verteidigen.“

„Wer gegen das Ulmer Spottverbot verstößt, muss mit Sanktionen rechnen. Diese reichen vom zeitweiligen Entzug der Aufenthaltserlaubnis im Stadtgebiet über die öffentliche Ächtung von Spöttern durch Veröffentlichung ihrer Namen und Anschriften in der SWP bis hin zur Streichung städtischer Zuschüsse und dem Entzug jeglicher Unterstützung durch städtische Ämter.“

„Die Durchführung der Maßnahmen wird dem Ordnungsamt übertragen. Ein Gremium bestehend aus fünf Gemeinderäten überwacht diese. Den Vorsitz hat ein SPD-Gemeinderat, da diese Fraktion sich im Krampf um die Erhaltung des Schwörrituals besondere Verdienste erworben hat.“

Ivo Gönner äußerte sich ebenfalls sehr besorgt wegen der hinterhältigen Anschläge auf ein Ulmer Heiligtum. Die Schwörrede hält er für einen zentralen Bestandteil der freizeitlich-demoskopischen Grundordnung Ulms, die es zu achten und zu schützen gelte. Um der jährlichen Schwörrede einen noch würdigeren Rahmen zu geben, so Gönner, sei eben im Gemeinderat fast einstimmig die Umbenennung des Weinhofes in „Platz der Freiheit und der Demokratie“ beschlossen worden.

28.8.11

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Rivoir will BUND schaden

Das Drama beginnt, als der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Martin Rivoir aus dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) austritt. Das meldet die SWP am 28.6.2011. Der Grund für Rivoirs Handeln ist das engagierte Eintreten der BUND-Landesvorsitzenden Dr. Brigitte Dahlbender, ebenfalls SPD, gegen Stuttgart 21.

Im nächsten Akt tritt Martin Rivoir mit der Behauptung an die Öffentlichkeit, der BUND sammle auf seinem Vereinskonto Spenden für die Stuttgarter Parkschützer, deren Positionen und Aktionen von manchen als zu radikal kritisiert werden.

Damit lässt es Rivoir nicht bewenden: Er startet jetzt einen Rachefeldzug gegen den BUND, den er als normale Kontrolltätigkeit eines Abgeordneten verkauft. In Rivoirs „Anfrage“ an die Landesregierung heißt es:

Ist bekannt, dass die sogenannten „Parkschützer“ zu Spenden auffordern und als Spendenadresse ein Konto des BUND-Regionalverbandes Stuttgart angeben?“ (zitiert nach: SWP 26.7.11)

Die Denunziation des Abgeordneten geht noch weiter: Er will auch „wissen“, ob die Abwicklung von Spenden des Verkehrsclub Deutschland (VCD) – ebenfalls ein Gegner von Stuttgart 21 – und deren steuerliche Absetzbarkeit rechtmäßig sei.

SPD-Mitglieder sind empört über Rivoirs Untaten. Der Waiblinger SPD-Stadtrat Klaus Riedel nennt am 25.7. das Vorgehen seines Parteigenossen Rivoir auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit den Grünen in Ulm „unglaublich“ und betont, wie eng die Organisationen BUND und VCD mit der SPD verbunden seien.

Der nächste Akt des Dramas beginnt auf derselben Veranstaltung der Grünen. Dort redet der Sprecher des Verkehrsclubs Deutschland Werner Korn über Stuttgart 21. Korn sagt, für die Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofes bestehe weder vollständiges Baurecht noch sei die Annahme richtig, 4,5 Milliarden reichten für die Baumaßnahme aus. Wenn Ivo Gönner, der OB Ulms, das Gegenteil in seiner Schwörrede behauptet habe, sei das falsch. Den Schwörmontag bezeichnet Korn als „politische Folkloreveranstaltung“, tags darauf präzisiert er: „tolle politische Folklore“.

Jetzt ist der Wendepunkt im Drama erreicht. Die Katastrophe nimmt ihren unaufhaltsamen Lauf:

Die Gemeinderäte Eichhorn (FWG), Dr. Kienle (CDU) und Dr. Waidmann (FDP) verlangen, dass der jährlich Zuschuss der Stadt Ulm an den BUND in Höhe von 9300 Euro gestrichen werde, weil der BUND sich durch seine Ablehnung von Stuttgart 21 „am Rande eines repräsentativen demokratischen Rechtssystems“ (SWP 28.7.11) bewege.

Mitglieder der SPD-Rathausfraktion (Dorothee Kühne, Katja Adler, Hartmut Pflüger und Martin Rivoir) nennen Korns Bezeichnung des Schwörmontags als „politische Folklore“ einen „ungeheuerlichen Vorgang“.

6.8.11

Reinhold Eichhorn spricht Kiezdeutsch

Es heißt immer, der Schwabe sei maulfaul und alles andere als ein begnadeter Redner. Dass dem nicht so ist, bewies vor zwei Monaten der Ulmer Gemeinderat und Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler Reinhold Eichhorn.

Vor laufender Kamera gab er zu dem hochbrisanten politischen Thema der milliardenteuren Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofes folgendes Statement ab:

„Ja, den Schlichterspruch hab ich so erwartet.
Em Herrn Geissler bricht isch ja nix anders übriggeblieben.
Ich befürworte des, dass die S 21 jetzt verwirklicht wird.
Und wenn dann S 21 plus mit diesem – äh – Zugaben, könnat mir Ulmer ja nur zufrieden sein?“

Diese Proklamation sorgte nicht nur in der ganzen Republik für Aufsehen; Eichhorn wird für seine Erklärung nun auch mit einer Auszeichnung geehrt, dem von der Uni Potsdam verliehenen „Sprachpreis Kiezdeutsch“.

Der durchschnittliche Sprecher der deutschen Sprache hat schnell ein Urteil gefällt:

„Gib mal Handy“,
„Ich geh Donauwiese“
„Ich steige Willy-Brandt- Platz aus“
„Also mein Schule ist schon längst fertig.“ oder
„Man sieht es später halt, wenn man kein Arbeit hat.“

Diese Sätze sind schlechtes und grammatikalisch falsches Deutsch.

Die Sprachwissenschaftlerin Professor Dr. Heike Wiese von der Universität Potsdam ist da anderer Meinung. Für sie bedeuten die Verwendung neuer sprachlicher Ausdrücke oder eine ungewöhnliche Satzstellung Kreativität. Falsch oder richtig spielt keine Rolle. Wichtig ist die Ausdruckskraft.

Die neu entstehende Sprache, die Professorin nennt sie Kiezdeutsch und vergleicht sie mit Dialekten, ist z.T. sehr komplex und schwer zu erlernen, meist entsteht sie in Großstädten und wird von türkisch oder arabisch stämmigen Jugendlichen kreiert.

Nun entdeckte die Professorin erstmals ein hervorragendes Beispiel für Kiezdeutsch in der süddeutschen Stadt Ulm. Sie war begeistert. Der Kiezdeutsch-Sprecher Reinhold Eichhorn wird seinen Preis am 27. März 2011 auf dem Schloss Sanssouci in Potsdam entgegennehmen.

12.3.11

Eichhorns Leserbrief

Der Ulmer Gemeinderat Reinhold Eichhorn (FWG) verfasste einen Leserbrief, der am 4.12.2010 in der SWP erschienen ist. In diesem machte sich der Verfasser Gedanken über die Demonstrationen gegen die Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofes und versuchte zu ergründen, warum das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik erschüttert sei. Seine Ergebnisse lauten:

Die Demonstranten in Stuttgart scheren sich weder um Legalität noch um Legitimität und auch nicht um die Kosten, „die ihr Verhalten für das Gemeinwesen haben“ werden.
Die Demonstrationen zeigen einen „Gelegenheits-Anarchismus“.
Die Bevölkerung hat kein Vertrauen mehr zu Politikern, weil diese alles versprechen und das Volk zu viel von ihnen erwartet.
Sollten die Stuttgarter Demonstranten Erfolg haben, wird „Politik an allen Verfassungsorganen vorbei“ auf der Straße betrieben.

Tetzlaffs Antwort

Ein gewisser Alfred Tetzlaff antwortete auf Eichhorns Leserbrief. Weil das Antwortschreiben falsch adressiert war, landete es bei uns. Unverständlicherweise verwechseln manche Mitbürger das Virtuelle Gasthaus Donaufisch mit der Lokalen Zeitung. Mit der Veröffentlichung verbinden wir die Hoffnung, dass die von Herrn Eichhorn angestoßene Diskussion über den Zustand unserer Demokratie und die Glaubwürdigkeit der Politik befruchtet und fortgeführt werden möge.

Sehr verehrter Herr Reinhold Eichhorn!

Ich möchte Ihnen gerne mitteilen, dass ich Ihre Leserzuschrift gelesen habe. Ich bin begeistert, Herr Eichhorn!

Endlich sagt ein Lokalpolitiker die Wahrheit! Endlich nennt einer jene Subjekte, die unser Gemeinwesen zerstören. Endlich traut sich einer klar auszusprechen, warum die Menschen hier der Politik nicht mehr vertrauen.

Wenn Sie mich fragen: Wir hätten mit dieser anarchistischen Bagage in Stuttgart ganz anders verfahren sollen. Wasserwerfer! Dass ich nicht lache. Polizei u n d Militär hätten scharf schießen sollen. Dann wären wir das Problem ein für alle Mal los. Diese Berufsdemonstranten und Hobbyrevoluzzer missbrauchen unser gutes Demonstrationsrecht. Der Artikel 8 des Grundgesetzes ist für Bürger wie Sie und mich gedacht. Für anständige Deutsche eben. Und die kämen nie auf die Idee, gegen etwas zu demonstrieren, was von Parlamenten beschlossen worden ist. Wenn der Bundestag z.B. darüber entschieden hat, dass wir die Kernenergie weiter nutzen wollen, dann hat der brave Bürger sein Maul zu halten. Nur so funktioniert richtige Demokratie.

Lassen Sie mich auch noch folgendes sagen: Es war völlig richtig, dass Ihre Kollegen von der FDP im Ulmer Rat vom Oberbürgermeister verlangt haben, scharfe Maßnahmen gegen die Grünen zu ergreifen. Wer in Ulm gegen eine wichtige Infrastrukturmaßnahme wie Stuttgart 21 ist, schadet seiner Stadt und steht somit nicht mehr auf dem Boden der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung. Die Grünen schaden Ulm und unterstützen die Umtriebe von Anarchisten in Stuttgart. Deshalb müssen sie aus der Gemeinschaft der Demokraten ausgeschlossen werden. Man müsste ihnen unverzüglich ihre Mandate entziehen.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Alfred Tetzlaff

Über die Glaubwürdigkeit von Ulmer Politikern

Eichhorn hat Recht mit der Aussage, das Grundvertrauen in Politiker und in die Politik sei erschüttert. Offensichtlich verdrängt der Fraktionsvorsitzende der FWG Eichhorn aber perfekt, wie er selbst und seine Fraktionskollegen zur Politikverdrossenheit beitragen.

Beispiel: Da die Kosten für die Kinderbetreuung, die Gemeinden zu zahlen haben, ständig anwachsen, herrschte im Ulmer Gemeinderat weitgehend Konsens darüber, dass Eltern entsprechend ihrem Einkommen stärker an den Kosten beteiligt werden. Was ja auch vernünftig und gerecht ist.

Ende November beantragte nun aber Herr Reinhold Eichhorn gemeinsam mit seiner Fraktion im Rat, dass 200.000 Euro, die Eltern zur Kinderbetreuung zusätzlich beisteuern sollen, angesichts der günstigen Haushaltslage von der Stadt übernommen werden sollten.

So, Herr Eichhorn, handeln Politiker, die „der Bevölkerung alles versprechen, je nach Opportunität und eigenen parteipolitischen Interessen“ (wie Sie es in Ihrem Leserbrief an die SWP so schön formuliert haben).

Erst die Ermahnung des Oberbürgermeisters und die ablehnende Haltung anderer Räte brachten Herrn Eichhorn und dessen Fraktion wieder zur Vernunft.

Ohne langes Nachdenken lassen sich weitere Beispiele aufzählen, wo die FWV- Fraktion kostenintensive und fragwürdige Projekte im Gemeinderat unterstützt hat. Denken Sie an die Multifunktionshalle, das sogenannte Lichtkonzept, das Donaubüro, die Neugestaltung der Friedrichsau oder an die geplanten Aktivitäten, mit denen die Stadt an Albrecht Ludwig Berblinger erinnern will, der 1811 mit seinem Flugversuch über die Donau gescheitert war.

Die Veranstaltungen zur Erinnerung an Berblinger (Kosten immerhin 800.000) finden in wesentlichen Teilen als Flugwettbewerb (Fachmesse „Aero“) gar nicht in Ulm, sondern in Friedrichshafen am Bodensee statt. Solche Schildbürgerstreiche, Herr Eichhorn, tragen zur Politikverdrossenheit bei.

Ein ähnlicher Schildbürgerstreich (nur in ganz anderer Dimension) ist die Ersetzung eines funktionierenden Kopfbahnhofes in Stuttgart durch einen 4,1 Milliarden teuren unterirdischen Bahnhof, der nicht leistungsfähig genug ist.

5.12.2010