Vor dem Eröffnungskonzert vom Musikfest Stuttgart am 30.8.2014 (Haydns „Schöpfung“) hielt Günther Oettinger eine Eröffnungsrede, die missglückte und das Publikum provozierte. (Wer erwartet von Herrn Oettinger anderes?) Dieser Vorfall ist heute Gegenstand der Berichterstattung der Stuttgarter Zeitung und der Südwest Presse.
Wir fragen uns: Muss ein kultivierter und wohlerzogener Mensch schweigen, wenn ein Politiker wie Günther Oettinger in einer Rede bei einem Musikfest Unsinn redet und provoziert?
Herr Jürgen Kanold, Kulturchef der Südwest Presse Ulm, hält schweigen für richtig. Ganz anders und differenzierter Susanne Benda von der Stuttgarter Zeitung.
Wir meinen: Naive Schöngeister richten durch„vornehme“ Zurückhaltung oft größeren Schaden an als Menschen, die rechtzeitig aufbegehren. Das lehrt uns die Geschichte an zahllosen Beispielen.
Stuttgarter Zeitung 1.9.2014
Noch bevor beim großen Eröffnungskonzert des Musikfests am Abend der erste Ton erklingt, erhebt sich im Beethovensaal lauter Protest. „Aufhören!“, hört man,und„Schluss jetzt!“. Günther Oettinger, vom unerwarteten Gegenwind des Publikums aus der Bahn geworfen, bringt seine Festrede zu einem raschen Ende, sitzt den ersten Teil des Konzertes ab und wird im zweiten von niemandem mehr gesehen.
Tatsächlich hat der EU-Energiekommissar dem Publikum am Samstagabend nicht etwa die angekündigten Gedanken zum Festivalmotto „Herkunft“ vorgetragen, sondern zum aktuellen politischen Geschehen Stellung bezogen.Manches von dem, was er etwa zum Ukraine-Konflikt sagt, ist richtig, aber wer hier Parallelen zum Hitler-Stalin-Pakt zieht, wer pauschal von „dem Polen“, „dem Russen“ und „dem Litauer“ spricht und wer in der Heimat von Mercedes verkündet, man müsse ja nicht immer nur daran denken, die S-Klasse nach Moskau zu exportieren, der darf sich nicht wundern,wenn anderen das nicht gefällt.
Autorin: Susanne Benda
Südwest Presse 1.9.2014
Günther Oettinger war eingeladen, zur Eröffnung des Musikfests Stuttgart seine „Gedanken“ über das Festival-Motto „Herkunft“ vorzutragen. Aber dann wurde der 60-Jährige am Samstagabend in der Liederhalle mit „Aufhören!“-Rufen und anhaltend lautem Klatschen regelrecht zum Schweigen gebracht. Peinlich. Ein Eklat. Aber warum nur?
Oettingers lokalpatriotischen Superlativ „Stuttgart ist die deutsche Musikstadt“ nahm das Publikum gerne an. Auch dessen Seitenhieb auf die Sparpläne der grün-roten Landesregierung, die bei den Musikhochschulen Studienplätze für Ausländer abbauen will: „Wer Autos baut, tut gut daran, auch Kultur zu exportieren.“
…
Doch dann holte Oettinger unpassend zum außenpolitisch-moralischen Rundumschlag aus: für mehr deutsches Engagement in den Krisenherden dieser Welt. Als er indirekt brandmarkte, die „S-Klasse nach Moskau zu exportieren“, ertönten „Aufhören!“-Rufe. Oettinger aber redete und redete, und ein Teil des Publikums machte seinem zunehmenden Unmut dadurch Luft, dass es den CDU-Politiker durch anhaltendes Applaudieren störte. Oettinger ging darauf nicht ein, kam aber zum Schluss, hörte sich den ersten Teil der „Schöpfung“ an und war nach der Pause weg. Er musste irgendwie die Veranstaltung verwechselt haben. Erschreckend aber auch, wie unhöflich bis intolerant viele Zuhörer reagierten.
Autor: Jürgen Kanold