Auch der Stammtisch möchte nicht immer über Politik oder die Ereignisse in der Donaustadt sprechen. Deshalb geht es heute um eine Frage auf dem Gebiet der Etymologie.

Sollte jemand durch die Erklärungen an lebende Personen erinnert werden, so ist dies Zufall und von uns keinesfalls beabsichtigt.

In unserer Serie „Schwäbisch für Menschen mit Migrationshintergrund“ erklären wir Ihnen heute den Begriff „Grasdackel“.

Der Schwabe gebraucht seit langer Zeit den Ausdruck „Dackel“, um damit einen Mitbürger zu rügen, der durch Einfalt, Schussligkeit oder Begriffsstutzigkeit zu einem Ausraster verleitet wurde.

Tiere der Hunderasse Dackel inspirierten den Schwaben bei dieser Sprachschöpfung, denn der Dackel (oder Teckel) neigt bekanntlich zu einem rassetypischen Verhalten: er kompensiert seinen Mangel an Körpergröße und Stärke durch unberechenbares aggressives Verhalten, d.h. er neigt zu übereilten, unüberlegten und lautstarken Attacken.

„Grasdackel“ ist eine Steigerungsform von „Dackel“, stammt aber nicht, wie von manchen Dialektforschern angenommen, aus dem Stuttgarter Raum, sondern aus dem Ulmer Ortsteil Söflingen. Zur Erklärung der Entstehung des Ausdruckes „Grasdackel“ müssen wir in eine Zeit zurück, als Söflingen noch eine von Ulm politisch unabhängige Gemeinde war.

Damals lebte in dem Dorf ein Bäcker, der – anders als seine Zunftkollegen – seinem Brot verschiedene Kräuter zusetzte, die es zu einer wohlduftenden und bei den Menschen überaus begehrten Ware machten. Von weither strömten die Menschen nach Söflingen, um das Brot zu kaufen. Der Bäcker wurde reich und bald wegen seines Reichtums überall im Land bekannt.

Doch leider hatte dieser wirtschaftliche Erfolg auch seine Schattenseite: Die vielen Stunden in der Backstube und die Dämpfe der beigemischten Kräuter vernebelten zunehmend die Sinne und das Urteilsvermögen des Unglücklichen. Schon nach wenigen Jahren handelte und redete er so närrisch wie kaum ein anderer im ganzen Land.

Die verständnisvollen Söflinger ließen ihren reichen Einfaltspinsel gewähren, schließlich backte er weiterhin gute Brote, was interessierte sie also seine Torheit. Untereinander sprachen sie davon, der ganze Irrsinn käme vom „Gras“, das der arme Tropf im Übermaß in seiner Backstube inhaliert habe. Mit Gras meinten sie natürlich die Kräuter. Nur manchmal, wenn der Bäcker in einem Irrsinnsanfall jedes Maß im Handeln und Reden verlor, mussten sich die Söflinger etwas Luft verschaffen: Dann nannten sie den Tölpel „Lällabäbbel“ oder „Grasdackel“, was in etwa dasselbe bedeutet.

Seit dieser längst vergangenen Zeit ist das Wort vom „Grasdackel“ überall im Land der Schwaben verbreitet.

Im nächsten Teil unserer kleinen Sprachkunde für Migranten erfahren Sie, woher folgende Redewendung kommt und was sie bedeutet: „ Der Söflinger Grasdackel bellt, die Karawane aber zieht weiter.“

10.10.10